Eine andere Männlichkeit ist möglich

In Ute Scheubs Traum geht es konkret zu und her. Er löst die Gleichung: Patriarchat + Klimakrise + Militarismus + Finanzkapitalismus.

Mitte 2016 setzen in der UNO heftige Konflikte um die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein. Ein internationales Panel soll Studien für die beste Politik entwerfen, aber es gibt Streit um dessen Zusammensetzung. Welche Nationen, welche politischen Strömungen, welche Institutionen sollen vertreten sein? Man blockiert sich gegenseitig, nichts bewegt sich.

Schliesslich schafft ein Club angesehener Nobelpreisträgerinnen, Ökonomen und Friedensfrauen mit dem Memorandum «Glück 2.0» den politischen Durchbruch. Das Gremium legt mit schlüssigen wissenschaftlichen Beweisen dar, dass die längerfristige Alternative entweder im gemeinsamen Untergang mit Millionen von Toten besteht oder im gemeinsamen Schaffen einer ökosolidarischen, stärker von Frauen geprägten Wirtschaft. Es werde eine katastrophale Lose-Lose-Situation geben, wenn Patriarchat plus Klimakrise plus Militarismus plus Finanzkapitalismus so weitergingen. Oder aber eine Win-Win-Situation, wenn Frauen und Männer gemeinsam die Weichen stellten für Abrüstung und eine ökosoziale Glückswirtschaft.

Die Argumentation ist im Kern simpel mathematisch. Wird die weibliche Hälfte der Bevölkerung gleichberechtigt am Aufbau des Gemeinwohls beteiligt, kann sich eine Nation doppelt so schnell entwickeln. Wird sie durch die männliche Hälfte der Bevölkerung aber kontrolliert oder gar im Haus eingesperrt, muss eine Nation stagnieren oder gar verelenden, da beide Geschlechter mit unproduktivem Verhalten ihre Zeit vergeuden. Rüstung ist immer kontraproduktiv, weil Waffen in Kriegen «verbraucht» werden müssen. Die Friedenssicherung und der Aufbau einer ökosozialen Wirtschaft gelingt am besten mit Frauen. Nicht weil diese die besseren Menschen sind – das sind sie definitiv nicht. Sondern weil viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass Frauen aufgrund ihrer anderen sozialen Rollen mehr aufs Gemeinwohl achten und eine grössere Distanz zu Gewalt, Macht und Militär haben.

Das Memorandum zeigt einen engen Zusammenhang zwischen (geschlechter)egalitären Verhältnissen und mentaler Zufriedenheit der Bevölkerung auf und beruft sich dabei auf den Stand der Glücksforschung. Ab einem Prokopf-Einkommen von etwa 40’000 Euro jährlich nehmen subjektive Gefühle von Glück und Zufriedenheit nicht mehr zu, auch wenn der Wohlstand weiter steigt. Sie nehmen sogar ab, wenn andere reicher sind als man selbst. Denn im Versuch, diesen Unterschied aufzuholen und weitere Reichtümer zu scheffeln, gerät man in eine endlose «Tretmühle des Glücks», die auch die Gier auf den Finanzmärkten und die Umweltzerstörung weiter antreibt.
Staaten mit vergleichsweise hoher Gleichberechtigung sind hingegen nachweisbar erfolgreicher, stabiler und ökosozialer ausgerichtet, und ihre Bevölkerung zeigt sich deutlich zufriedener. Frauen, und Männer sind dort laut Umfragen glücklicher, gesünder und weniger gestresst; sie werden auch deutlich älter als ihre Geschlechtsgenossen in patriarchalischen Gesellschaften. Das beweisen etwa die skandinavischen Länder oder einige verbliebene traditionelle Matriarchate wie die Mosuo in China. Das beweisen aber auch lernwillige Postkonfliktländer wie Liberia oder Ruanda, die konsequent auf Frauenförderung setzen.

Das Memorandum «Glück 2.0» wird veröffentlicht und mit Unterstützung progressiver Medien und Stiftungen in unzähligen Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendern vorgestellt und diskutiert. Die Resonanz ist riesig. Auch deshalb, weil ein weltweites Bündnis prominenter progressiver Männer – darunter Bischof Tutu und Bruce Springsteen - sich für das Memorandum einsetzt.
Nach seiner Veröffentlichung ergreifen UN-Organisationen und -Mitgliedsstaaten umfassende Massnahmen. Die UN-Generalversammlung wählt eine Generalsekretärin, die einen Zehnjahresplan zur Umsetzung der Empfehlungen von «Glück 2.0» vorlegt. Dazu gehören unter anderem die gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in alle Entscheidungsgremien der nationalen und internationalen Politik, Sicherheitspolitik und Wirtschaft; die stufenweise Abrüstung aller nationalen Armeen, verbunden mit der konsequenten Förderung von Krisenprävention und ziviler Konfliktbearbeitung; die massive Unterstützung von Öko-Anbau und von Kleinbäuerinnen, die weltweit etwa 70 Prozent der Lebensmittel produzieren.

Es folgen massive Störmanöver von Lobbygruppen aus der Rüstungs- und Agroindustrie sowie einiger radikaler Männerrechtler, die sich nicht kontrollieren lassen wollen. Doch die Hackerinnen von Wikileaks veröffentlichen Pläne dieser Lobbyisten, und wachsamen zivilgesellschaftlichen Gruppen gelingt es nach einer Zeit heftiger Machtkämpfe, ihre medialen Manöver weitgehend zu unterbinden. Dies auch deshalb, weil das Bündnis prominenter Männer engagierte Männergruppen weltweit unterstützt. Diese führen in der Folge mit allen medialen Mitteln vor, dass eine andere Männlichkeit möglich ist: Mann kann stark sein, fürsorglich, väterlich, engagiert, leidenschaftlich lieben und konsequent gewaltfrei leben. Diese Positivbeispiele und Role Models vermögen viele Männer zu überzeugen, die zuvor mit diffusen Ängsten oder Aggressionen auf ihren vermeintlichen Statusverlust reagiert haben. In den folgenden Jahren entsteht eine lebendige öffentliche Debatte in allen wichtigen internationalen Gremien und ein regelrechter Umsetzungswettbewerb durch Nationen und Institutionen.

In der UNO wird eine Parlamentarische Versammlung eingerichtet, eine Art Weltparlament von Abgeordneten und Zivilgesellschaft, in dem die besten Erfolgsmodelle aus allen Nationen und Regionen vorgestellt werden: Bhutans Festschreibung von Glück als Staatsziel Nummer eins; Schwedens Gleichberechtigungspolitik; Norwegens Frauenförderung in der Wirtschaft; Ruandas politische Frauenförderung; Österreichs Gewaltschutzgesetz; Costa Ricas Regenwaldschutz und sein Verzicht auf nationales Militär; Südafrikas progressive «Regenbogen»-Verfassung; Brasiliens Armutsbekämpfungsprogramm und seine «solidarische Ökonomie»; die direkte Demokratie der Schweiz; Deutschlands Erneuerbare-Energien-Gesetz; sein Aktionsplan zur zivilen Konfliktbearbeitung. Dazu unzählige Exempel aus Regionen und Städten, etwa das bedingungslose Grundeinkommen in Omitara in Namibia. Oder die «regenerative Agrikultur», die weltweit mit Permakultur, Terra Preta und neuen Weidemethoden so viel CO2 aus der Atmosphäre in Form von Kohlenstoff wieder in die Böden bringt, dass ein Ende der Klimakrise absehbar wird.
Jedem Land, jeder Stadt, jedem Dorf gereicht es fürderhin zur Ehre, im Weltparlament als Erfolgsmodell vorgestellt zu werden. Die Diskussionen in dieser reformierten UNO gleichen weniger den üblichen parlamentarischen Debatten, sondern mehr einer internationalen Lernakademie; die Erfolgsgeschichten werden live in alle Welt übertragen.

Die Resonanz ist überwältigend. Positivmodelle werden auf diese Weise in die fernsten Winkel der Welt transportiert und dort kopiert. Hunger, Armut, Krankheiten, Umweltkatastrophen und Analphabetismus sinken, besonders in jenen Regionen, die Frauen und Mädchen am stärksten fördern. Die Zahl der bewaffnete Konflikte nimmt ab, zumal der UN-Sicherheitsrat ein weltweites strenges Exportverbot für Rüstungsgüter, Minen und Kleinwaffen erlässt. Auch die Rate der häuslichen Gewalt und der Gewaltakte gegen ethnische und religiöse Minderheiten vermindern sich.

Also alles eitel Sonnenschein? Nein. Es gibt immer noch mächtige Männer, die beleidigt und gekränkt auf ihren Statusverlust reagieren. Zwar treten bizarre Diktatoren wie der von Nordkorea ab, und die Führungsriege des Islamischen Staates schiesst sich gegenseitig über den Haufen. Aber betagte Herren wie George W. Bush, Geert Wilders und Silvio Berlusconi beklagen wortreich vor allen Kameras den Niedergang der Welt im Allgemeinen und den Verlust ihrer Männlichkeit im Besonderen. Es sei alles so langweilig geworden, jammert Wilders. Die Freiheit sei in Gefahr, überall wimmele es von Gutmenschen. Seit der weltweiten Zurückdrängung von Prostitution und Frauenhandel könne mann keine Abenteuer mehr erleben, schimpft Berlusconi. Bis Greenpeace ihn zur Schlauchboot-Tour zum Schutz der Wale einlädt: «Wenn du Manns genug bist, dann steigt ein und kämpfe!»





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