Endzeitstimmung fördert Vorurteile
Bedrohungen führen zu Vorurteilen und begünstigen populistische Bewegungen, sagen neuere empirische Studien. Wer heftig warnt, erreicht möglicherweise das Gegenteil.
In offenen Gesellschaften haben Vorurteile aller Art – bezüglich Rasse, Religion oder Einstellungen – wenig Nährboden. Das fand die Psychologin Michele Gelfand von der Universität von Maryland schon 2011 in einer vergleichenden Studie über 33 Nationen heraus. Wo strenge gesellschaftliche Normen gelten und abweichendes Verhalten bestraft wird, sind Vorurteile dagegen präsent und wirksam. An der Spitze der Liste finden sich die Niederlande, die USA und Australien; das Schlusslicht bilden Malaysia und die Türkei.
In einer neuen Serie von Studien untersuchten Gelfand und ihr Team den Zusammenhang zwischen Umweltbedrohungen und Vorurteilen. Nicht erstaunlich: Wer sich bedroht fühlt, befürwortet nicht nur strengere gesellschaftliche Normen – was durchaus sinnvoll sein kann –, sondern unterliegt auch leichter Vorurteilen, vor allem bezüglich Rasse und Religion.
«Wenn Normen und Regeln strenger werden, orientieren sich die Menschen eher an bestehenden Traditionen», schreibt Joshua Conrad Jackson, Kulturpsychologe an der Universität von North Carolina in Chapel Hill, einer der Autoren der Studie. «Das Vertrauen in andere Menschen sinkt. Das Resultat sind mehr Vorurteile und Diskriminierung von Minderheiten.»
Bedrohungen, reale und eingebildete, haben auch messbare politische Konsequenzen. Die Wissenschaftler untersuchten die nationalen Wahlen in den USA 2016 und in Frankreich 2017 und stellten fest, dass Wähler, die eine Bedrohung für ihr Land wahrnahmen, dazu tendierten, Donald Trump bzw. Marine LePen zu wählen.
Bewegungen, die mit Bedrohungsbildern arbeiten – und die gibt es nicht nur im rechten politischen Lager – könnten eine durchaus problematische Entwicklung fördern. Jackson: «Der Klimawandel führt zu Dürren, Waldbränden, zerstörten Korallenriffen. Wenn sich das fortsetzt, wird es unbeabsichtigt zu einer Atmosphäre führen, in der Nationalisten vom rechten Rand leichter gewählt werden.»
Was tun: Die Augen vor den Gefahren verschliessen können wir nicht. Und darüber schweigen, dürfen wir nicht. Aber wir können genau hinschauen, die Zusammenhänge erkennen und vernünftig bleiben.
Das, übrigens, will der Zeitpunkt.
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Quelle: Zaid Jilani:Can Threats to Humanity Make Us More Prejudiced?
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