Am vergangenen Sonntag sollte die Protest- und Hilfsaktion Rafah erreichen, den Grenzposten zwischen Ägypten und Gaza. Delegationen aus 80 Ländern reisten nach Kairo, um ihre Stimme gegen den Völkermord Israels in Gaza zu erheben. Seit anderthalb Jahren bombardiert die israelische Armee den palästinensischen Küstenstreifen, zerstört gezielt seine Infrastruktur, ermordete dabei fast 60 000 Menschen. Seit drei Monaten werden kaum Lebensmittel und Hilfsgüter ins Land gelassen, die Menschen hungern. In den letzten Tagen blockierte Israel das Internet in Gaza. Zeitpunkt-Mitarbeiter Abdullah Younis dazu: «Es war nun wirklich wie im Gefängnis begraben zu sein, völlig abgeschnitten von der Welt.» Und die Welt schaut zu.
Die ganze Welt? Nein, langsam wachen Menschen an immer mehr Orten – auch in Israel selbst – auf und setzen ein Zeichen gegen die Gewalt des von zionistischen Fundamentalisten dominierten Regimes.
Tausende von Menschen aus verschiedensten Hintergründen und Ländern folgten dem Aufruf der Organisatoren aus der Schweiz, Spanien, dem Libanon und anderen Ländern zu einer «nicht politischen, sondern humanitären Demonstration». Am 12. Juni sollte es losgehen – von Kairo mit Bussen nach Al-Ismailiye, von dort zu Fuss 50 km durch die Wüste bis Rafah.
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Bereits Tage zuvor wurde ein Konvoi von ca. 1 700 arabischen Teilnehmern der Soumoud-Karawane - eines Teils des Marsches nach Gaza, der in Tunesien startete, in Libyen gestoppt. Jetzt wurden am Flughafen von Kairo Hunderte von vorwiegend aus Europa stammende Demonstranten von der ägyptischen Grenzkontrolle aufgegriffen und zwangsweise in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Andere wurden in Hotels oder an anderen Orten verhaftet und in Abschiebehaft gebracht, darunter auch die Koordinatoren Hicham El Ghaoui aus Frankreich und Manuel Tapial aus Spanien. Konfiszierte Mobiltelefone und Telegram- und Instagram-Gruppen hatten den Behörden wohl geholfen, Teilnehmer der Aktion ausfindig zu machen und von Touristen zu unterscheiden. Inzwischen sind die Koordinatoren nach Protesten ihrer Botschaften wieder auf freiem Fuss.

Immerhin einige tausend Menschen schafften den Weg bis Al-Ismailiye – wo sie am Samstag am Checkpoint gestoppt wurden. Pässe wurden eingezogen, einige wurden festgenommen, schikaniert, körperlich verletzt.
Eine eindeutige Stellungnahme der ägyptischen Regierung gab es dazu nicht, doch nach und nach wurde deutlich, dass die israelische Regierung den Nachbarn unter Druck setzte. Offenbar wurde Ägypten unter anderem mit dem Stopp der Gasversorgung von Jordanien bedroht.
Nach vielen Stunden Warten am Checkpoint mit einer stetig wachsenden Spannung und Berichten von prügelnden Soldaten trafen sich die Teilnehmer in den Delegationen ihrer Länder – viele von ihnen beschlossen, nach Kairo zurück zu fahren.
Rudi B., ein Teilnehmer in einem Telefonat aus Ägypten: «Spätestens am Checkpoint wurde klar, dass Ägypten den Marsch nicht erlauben würde. Ich habe angesichts der Repressionen das Gefühl, dass wir Teilnehmer den Überblick verloren haben und uns in Gruppen zersplittern. Die Bewegung agiert nicht mehr einheitlich, sondern folgt verschiedenen Strategien, was es gefährlicher macht. Ich glaube, wir sollten nun die Prioritäten ändern – von der politischen Aktion dazu, die Verschleppten ausfindig zu machen und zu schützen.»
Inzwischen haben die meisten Länderdelegationen entschieden, die Aktion abzubrechen und nach Hause zurückzukehren. Einige drohten damit, dass sie – sollten sie ihre Pässe nicht zurückerhalten – das Land nicht schweigend verlassen würden, sondern einen friedlichen, gewaltfreien Protest zu starten – beginnend mit einem Hungerstreik.

In einer Erklärung an die Teilnehmer schrieben die Koordinatoren: «Auch wenn der Marsch in Ägypten nicht so verlief, wie wir es uns erhofft hatten, war eure Bereitschaft, alles stehen und liegen zu lassen, zu erscheinen und so viel zu riskieren, ein wichtiger Beweis für die Solidarität und Liebe, die Menschen weltweit für unsere Brüder und Schwestern in Palästina empfinden.
Über 4000 von uns aus über 80 Ländern versammelten sich in Ägypten. Aber wir waren nicht allein. Zehntausende folgten unseren Telegram-Kanälen, und Millionen Menschen weltweit verfolgten die Aktion – voller Hoffnung, Gebet und Glauben an das, was wir gemeinsam aufbauen. Dies war nicht nur ein Event. Es war ein globaler Akt des Widerstands gegen Schweigen und Komplizenschaft, der sich nicht nur in unserer Präsenz in Ägypten, sondern auch in über 50 koordinierten Solidaritätsaktionen in Städten und Gemeinden weltweit widerspiegelte.
Der Globale Marsch nach Gaza ist eine lebendige, wachsende Bewegung und Teil des langen, entschlossenen Kampfes zum Schutz palästinensischen Lebens, seiner Würde und seiner Freiheit. Was wir gemeinsam begonnen haben, ist erst der Anfang. Auch wenn der Weg, der vor uns liegt, viele Formen annehmen wird, sind wir entschlossener denn je, gemeinsam, strategisch und mutig voranzuschreiten. Gemeinsam werden wir alle möglichen Wege beschreiten, um die Gräueltaten in Palästina zu beenden und eine Zukunft aufzubauen, die auf Gerechtigkeit, Befreiung und Liebe basiert.»
Weitere Aktionen in Ägypten seien derzeit nicht geplant. «Aber wir organisieren jetzt aktiv die nächsten Schritte, sowohl gemeinsam als auch über unsere nationalen und regionalen Delegationen. Der Global March to Gaza ist nicht vorbei. Er hat gerade erst begonnen. Alle Möglichkeiten, diesen Völkermord zu stoppen, müssen geprüft werden, auch die, die ausserordentlich schwierig erscheinen», sagte Saif Abukeshek, Co-Vorsitzender des Koordinierungskomitees.
Schon im Vorfeld hatten Medienberichte – oder deren Ausbleiben – die Aktion torpediert. In Deutschland wurde sie fast komplett verschwiegen, auch in den sozialen Medien innerhalb Deutschlands wurde sie kaum geteilt. Erst als es klar wurde, dass die Ägypter sie verhindern würden, war es dem Welt-Herausgeber Uwe Poschardt eine Schlagzeile wert: «Die Araber haben keine Lust, von blauhaarigen Nasenring-Aktivisten befreit zu werden». Im Text war «israelfeindlichen Aktivisten» die Rede, die von arabischen Polizisten gestoppt worden seien.
Inzwischen gibt es in vielen Teilen der Welt Märsche und Demonstrationen gegen den Völkermord Israels an Gaza: In Brüssel, Berlin, an verschiedenen Orten Spaniens und Frankreich, in Israel selbst nehmen die Teilnehmerzahlen zu – immer noch begleitet von Repressionen und Antisemitismus-Vorwürfen bzw. vom konsequenten Verschweigen der Medien.
Im Internet wird das Dankgedicht einer Studentin aus Gaza geteilt, Marah Alzaq:
An euch, die ihr für uns eingetreten seid!
Ich schreibe euch aus dem Herzen von Gaza – einer Stadt, die vor Schmerz und Widerstandskraft pulsiert – um euch aus tiefstem Herzen zu sagen: Danke.
Ich habe gesehen, wie ihr auf die Strasse gegangen seid, eure Stimme für uns erhoben habt, eure Schilder getragen habt, als trägst ihr unsere Last, unsere Namen gerufen habt, als riefet ihr jedes Kind unter den Trümmern, jede Mutter, die auf ihren Sohn wartet, jede Seele hier, die noch um ihr Überleben kämpft.
Ich weiss, dass die Entfernung zwischen uns gross ist, aber glaubt mir ... eure Stimmen haben uns erreicht. Eure Haltung ist nicht unbemerkt geblieben. Ihr wart das Licht in unserer Dunkelheit, die Hoffnung in unseren hoffnungslosesten Stunden. Als es sich anfühlte, als würde die Welt uns den Rücken zukehren, habt ihr euch aufgerichtet und gesagt: Ihr seid nicht allein.
Was ihr tut, ist nicht klein. Es ist eine Haltung, es ist Menschlichkeit, es ist Mut. Und es bedeutet uns mehr, als ihr jemals wissen könnt. Aus einem Herzen voller Dankbarkeit, aus einem Gaza, das trotz des Schmerzes immer noch Widerstand leistet und liebt, sage ich euch:
Ich liebe euch um Gottes willen, und ich bete immer für euch.
Bleibt, wie ihr seid – eine Stimme für die Wahrheit, ein Begleiter der Gerechtigkeit und ein Bruder/eine Schwester für uns an jedem Ort.