Liebeserklärung an unsere Kleider
Das deutsche Upcycling-Label «Bridge&Tunnel» schafft «lebensverlängernde Massnahmen für Kleidung». Neu wird auch ein Reparaturservice für Unternehmen angeboten. Und zwar, ohne dafür Arbeitskräfte auszubeuten, wie das in der Textilbranche leider oft der Fall ist. «Bridge&Tunnel» beschäftigt Näherinnen aus verschiedenen Ländern, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hatten – zum Beispiel, weil sie keine schriftlichen Qualifikationen oder formelle Zertifikate haben. Es ist also gleichzeitig ein Nachhaltigkeits- und ein Inklusionsprojekt.
230 Millionen neuwertige Bekleidungsstücke werden jährlich geschreddert, weil es für die Modeunternehmen günstiger kommt, sie zu zerstören, als sie wiederzuverwerten. Doch auch viele der Kleider, die in der Altkleidersammlung landen, richten erhebliche ökologische Schäden an, denn sie häufen sich im Globalen Süden auf Müllkippen an, landen in Flüssen oder werden verbrannt.
Deshalb hat das Hamburger Label «Bridge&Tunnel», das über jahrelange Erfahrung im Upcycling-Bereich verfügt, nun ein neues Projekt lanciert: Die Reparatur-Werkstatt «Re.Vive», in der Neu- und Retourwaren von Unternehmen repariert werden. Zum Beispiel fehlerhaft produzierte Neuware, bei der Knöpfe fehlen oder Nähte aufgegangen sind. Ein Hauptziel von Re.Vive besteht – nebst dem ökologischen Aspekt – auch in der Schaffung von lokalen Arbeitsplätzen für Menschen mit geringer Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt. Für Unternehmenskunden fertigt das Label etwa Laptop-Taschen aus LKW-Planen oder Kosmetiktaschen aus Neopren-Anzügen. Für das eigene Label gibt es eine Vielzahl an Slow-Fashion-Produkten aus gebrauchten Jeans. Mitgründerin Constanze Klotz im Interview mit dem Zeitpunkt.
Zeitpunkt: Wie ist die Idee für Re.Vive entstanden?
Constanze Klotz: Unsere Upcycling-Manufaktur gibt es schon seit sieben Jahren, die Themen ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind dabei zentral. Eine Hauptfrage ist für uns ist immer: «Wie können Kleidungsstücke und Textilien länger im Kreislauf bleiben und genauso wertschätzend behandelt werden wie die Menschen, die sie fertigen?» Auf Grund der immer häufigeren Berichte von Altkleiderbergen im Globalen Süden, zum Beispiel in der chilenischen Atacama-Wüste, haben wir uns gefragt, ob man beim Upcycling nicht noch einen Zwischenschritt vornehmen müsste, also den Versuch, zunächst zu reparieren, bevor man Kleidungsstücke zu einem ganz neuen Produkt verarbeitet.
Das Nachhaltigste ist natürlich immer, Kleidung so lange zu tragen, bis sie nicht mehr tragbar ist. Doch wenn eine Jeans verschlissen ist, was in der Natur der Sache liegt, lohnt es sich, ihr ein zweites Leben zu geben, indem man die gut erhaltenen Teile der Jeans zu einem neuen Produkt zusammensetzt – das ist Upcycling. Reparaturen sind dann interessant, wenn erkennbar ist, dass es nur kleine Eingriffe braucht, um ein Kleidungstück wieder tragbar zu machen.
Ist das Reparieren und Upcyceln immer noch ein Nischenprodukt, oder zeichnet sich langsam ab, dass die Leute mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei Kleidern entwickeln?
Ich habe das Gefühl, dass sich der Wind ein bisschen gedreht hat. Als wir vor sieben Jahren angefangen haben, hat noch niemand von Kreislaufwirtschaft im Textilbereich geredet. Jetzt hat sich der Diskurs in diesem Bereich verändert – aber trotzdem kommt das Thema in der Klimadebatte noch viel zu kurz. In Bezug auf die Kleiderbranche weiss man zwar Bescheid über die miserablen Arbeitsbedingungen in vielen Produktionsstätten, doch der ökologische Aspekt ist noch viel zu unbekannt. Die Mode- und Textilindustrie ist nämlich ein gigantischer Klimakiller. Sie emittiert mehr CO2 als die Flug- und Schifffahrtindustrie zusammen. Trotzdem kaufen wir ständig neue Kleidung, reparieren wenig und haben wenig Gefühl für die klimapolitischen Auswirkungen unseres Konsums.
Ist Reparieren und Upcyceln besser, als Textilien zum Beispiel in die Alt-Kleider-Sammlung zu geben?
Wir müssen uns bewusst sein, dass in jedem Textilprodukt die Arbeit von Menschen steckt – denn es gibt nichts, was bis zum letzten Schritt maschinell produziert werden kann. Nur schon deshalb sollten wir der Mode wieder mit mehr Wertschätzung begegnen, und das Reparieren hat tatsächlich viel mit dieser Art von Wertschätzung zu tun. Meine Idealvorstellung wäre ein Kleiderschrank, der nur aus Lieblingsstücken besteht. Wenn ich zig oder hunderte von Stücken habe, ist es natürlich keine grosse Sache, etwas wegzuwerfen. Doch seine Lieblingsteile repariert man gern, um sie noch länger tragen zu können. Re.Vive ist in diesem Sinne eine Liebeserklärung an unsere Kleider und an die Menschen, die sie produziert haben.
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