Máxima Acuña – die Beschützerin der blauen Lagune
Für die einen ist sie eine Heldin, für die anderen eine Landbesetzerin und Terroristin. Die 51-jährige Peruanerin wird seit Jahren unter Druck gesetzt, ihren Landbesitz zu verlassen, weil dort Gold gefördert werden soll. Sie und ihre Familie wurden brutal zusammengeschlagen, all ihr Hab und Gut zerstört. Doch sie hält Stand, um die vier umliegenden Lagunen zu schützen. Máxima Acuña wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet und wird über die Landesgrenzen hinaus als Ikone des Widerstands gefeiert. Aus der Serie «Aussergewöhnliche Frauenbiografien».
Sie ist knapp eineinhalb Meter gross, lebt in einem abgelegenen, leerstehenden Dorf im Hochland Perus und musste als Kind barfuss gehen, weil sich die Familie keine Schuhe leisten konnte. Obwohl sie weder lesen noch schreiben kann, hat sie viel zu sagen: «Ich bin eine arme Analphabetin, aber weiss, dass unsere Lagunen und Berge unsere wahren Schätze sind», ist eine ihrer bekanntesten Aussagen.
2014 wurde Acuña von der Lateinamerikanischen Frauenunion zur Verteidigerin des Jahres gewählt. 2015 erhielt sie eine Auszeichnung der Nationalen Menschenrechtsvereinigung, und 2016 den Goldman-Preis für Umweltschutz, der seit 1990 jährlich an sechs Umwelt-Heldinnen und -Helden vergeben wird. Im Oktober 2021 zitierte die amtierende peruanische Premierministerin Mirtha Vásquez sie in ihrer Antrittsrede: «Ich verteidige die Erde und das Wasser, denn sie sind Leben. Ich habe keine Angst vor den Mächtigen und werde weiter kämpfen.» Acuña ist zu einer Ikone des Widerstands gegen den Bergbau geworden, welcher in Peru und in vielen anderen Ländern Lateinamerikas ganze Landstriche vernichtet.
Sie und ihr Mann besitzen 27 Hektar Land in der Gemeinde Tragadero Grande im nordperuanischen Cajamarca. Diese Parzelle ernährt die Selbstversorger-Familie: Sie bauen Kartoffeln und Bohnen an und halten einige Kühe und Schafe. Doch das Stück Land wurde ihnen auch zum Verhängnis. Als der US-amerikanische Bergbaukonzern Newmont Mining Corporation 2011 zweitausend Hektar Land in der Gegend aufkaufte, um die nahegelegene Gold- und Kupfermine Yanacocha zu erweitern, war Familie Acuña die einzige, die nicht einknickte.
Yanacocha ist das grösste Goldbergwerk Südamerikas und eins der profitabelsten der Welt. Nicht nur für die Bergbaubetreiber, sondern auch für den peruanischen Staat. «Wenn das Projekt [die Erweiterung von Yanacocha] nicht zustande kommt, wäre das wie ein Schuss ins eigene Knie», sagte einst der ehemalige Wirtschaftsministers Pedro Kuczynski. Denn unter den Hügeln von Cajamarca befindet sich eine der letzten Goldreserven der Welt.
Doch Máxima Acuña weigert sich bis heute, ihr Grundstück freizugeben. Nicht nur, weil es ihr Zuhause ist. Sondern auch, weil durch die Erweiterung der Mine vier Bergseen zerstört würden. Eine halbe Milliarde Tonne giftiger Abfälle sollen dort gelagert werden. Denn bei der Goldgewinnung werden Zyanid und andere tödliche Gifte eingesetzt, die nicht nur die Flora und Fauna der Umgebung zerstören, sondern auch Tier und Mensch vergiften.
Als drittes von vier Geschwistern in der Ortschaft Amarcucho, siebzig Kilometer nördlich von Cajamarca geboren, war sie stets schüchtern und zurückgezogen gewesen. Ihr Vater war gestorben, als sie noch klein war, und sie ging nie zur Schule, sondern half ihrer Mutter in der Landwirtschaft. Damals nahm sie sich vor zu arbeiten, um sich Schuhe kaufen zu können. Auch sollten ihre Kinder einst nicht barfuss gehen müssen. Statt zu spielen, nähte sie schon früh Babykleider für die Neugeborenen in ihrer Nachbarschaft, später webte sie Hüte. Ihr Ehemann Jaime erinnert sich: «Sie sprach mit niemandem und war stur.» Vier Jahre lang hatte er insistiert, bis sie mit 18 schliesslich eingewilligt hatte, ihn zu heiraten. Bis heute steht er treu an ihrer Seite.
2010 musste sich Acuña wegen einer Eierstock-Infektion für einige Wochen in die nächstgelegene Stadt begeben. Ihr Onkel kümmerte sich derweil um ihren Acker und ihre Tiere. Doch als sie zurückkam, sah nichts mehr aus wie vorher. Der Feldweg, der über ihr Grundstück führte, war zu einer Strasse geworden. Die Bergbau-Betreiber waren mit Bulldozern gekommen und hatten behauptet, das Land gehöre ihnen bereits seit Jahren. Die Gemeinde habe es ihnen verkauft. Acuñas Besitzurkunde betrachteten sie als nichtig. Dennoch weigerte sie sich, zu gehen. Einige Monate später wurde ihr Haus und ihr Kartoffelacker zerstört. Acuña zeigte den Bergbau-Konzern an, doch aus Mangel an Beweisen wurde der Fall ad acta gelegt.
Wieder ein paar Monate später beschlagnahmte die Polizei alle Habseligkeiten der Familie und steckte das inzwischen wieder aufgebaute Haus in Brand. Acuña, ihr Mann und ihre Kinder schliefen in dieser Nacht draussen, in der eisigen Kälte der Hochanden, wo die Temperatur unter null Grad fällt. Am Tag darauf kamen hundert Polizisten mit Knüppeln, Schrotflinten und einem Bagger, um sie zu vertreiben. Acuñas jüngste Tochter Jhilda kniete vor der Maschine nieder, um sie zu stoppen. Die ganze Familie wurde brutal zusammengeschlagen. Jaime wurde ein Maschinengewehr an den Kopf gehalten, und Jhilda bekam einen Gewehrkolben auf den Hinterkopf, so dass sie ohnmächtig wurde. Ihre Schwester Ysidora nahm das Ganze mit dem Handy auf, und auf dem Video ist klar zu sehen, was der Konzern später abstritt: Die Ingenieure schauen aus der Ferne zu, bleiben neben ihren Lastwagen stehen und greifen nicht ein.
Von diesem Tag an wurde die Familie verfolgt. Die vier Kinder zogen nach Cajamarca, mussten aber aus Sicherheitsgründen immer wieder neue Unterkünfte suchen. Ysidora wurde auf dem Heimweg von der Universität von zwei maskierten Männern bedroht. Ihr Bruder, der an einer Lungenkrankheit litt, seit die Polizei ihn verprügelt hatte, fand keine Arbeit, weil er der Sohn einer «Anti-Bergbau-Frau» ist. Derweil zog Acuña gegen die Bergbaubetreiber vor Gericht, verlor zwei Prozesse und wurde wegen illegaler Besetzung von Land zu drei Jahren Gefängnis und zur Zahlung von zweitausend Dollar Entschädigung verurteilt. Ihre Anwältin Mirtha Vásquez, die inzwischen Perus Premierministerin ist, erklärte, dass die Richter und Staatsanwälte die von der Familie vorgelegten Beweise wie die Besitzurkunde nicht berücksichtigt hätten. Sie legte Berufung ein, und in zweiter Instanz wurde Acuña 2014 für unschuldig erklärt. Sie und ihr Mann begannen, ein neues Haus zu bauen, doch nach wenigen Wochen drangen Sicherheitskräfte mit Spitzhacken und Schaufeln ins Gelände ein, um die Fundamente zu zerstören. Als sie versuchten, sich mit Steinen zu verteidigen, wurden sie mit Knüppeln weggejagt.
Doch Máxima Acuña ist eine Frau, die nie aufgibt. Die beweist, dass sie tatsächlich keine Angst hat. Und die genauso stur ist, wie ihr Ehemann sagt. Sie verfolgt den Bergbaukonzern bis in seine Heimat USA: Im Juli 2021 reichte die Familie Acuña beim Obersten Gerichtshof der USA eine Klage gegen die Newmont Mining Corporation ein. Anklagepunkte sind die jahrelangen Schikanen und Einschüchterungen sowie die tätlichen Angriffe durch das Sicherheitspersonal des Konzerns. Dies, nachdem das Gericht im Bundesstaat Delware, dem Sitz von Newmont, ihre Klage wegen Formfehlern wiederholt abgelehnt hat. Acuña will damit einen Präzedenzfall für andere Menschenrechtsverteidiger schaffen.
Die 51-Jährige wird heute weit über Peru hinaus von Aktivistinnen und Aktivisten gefeiert, es gibt sogar Graffitis von ihr. 2019 wurde ein Dokumentarfilm über sie gedreht, der nun auch in den USA in die Kinos kommt und auf Streamingplattformen gezeigt werden soll.
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Aussergewöhnliche Frauenbiografien – bisher erschienen:
Loïe Fuller, die Schlangentänzerin
Malala: «Ich bin 66 Millionen Mädchen»
Simone Biles – die unsichtbare Medaille
Gertrud Woker, die vergessene Berner Heldin
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