Wir sind dann mal da
Zwei Menschen, zwei Rucksäcke, ein Weg – Sesto und Gabriele Castagnoli haben ihren Besitz verschenkt und das Pilgern zum Lebensinhalt gemacht. Dazu hätten sie den Mut nicht, sagen viele Menschen. Aber die Castagnolis fühlen sich so lebendig wie nie zuvor: Dabei haben sie schon einiges erlebt und auf die Reihe gebacht.
«Wir haben keine Botschaft», sagen Sesto und Gabriele Castagnoli übereinstimmend. Aber sie sind eine! Wenn ein Unternehmer mit 40 und eine Marketingfrau mit 20 Jahren Berufserfahrung ihr Hab und Gut verschenken und mit zwei Rucksäcken durch das Hier und Jetzt pilgern, dann ist das eine starke Ansage, wenn auch ohne Worte. Einfach so alles hinter sich lassen und in die Freiheit des Augenblicks hinaustreten, das möchten viele, schaffen aber wenige.
Sesto gab 2004 seine Tätigkeit als Unternehmer auf und gründete das World Spirit Forum WSF in Arosa, das parallel zum World Economic Forum stattfand und ein enormes Medienecho auslöste. Als sie das Konzept des Anlasses änderten und auf die Begegnung statt auf die spirituellen Grössen aus aller Welt ausrichteten, musste das WSF aus Kostengründen eingestellt werden. Sesto und Gabriele engagierten sich in der Folge vor allem als Berater.
Anfang 2015 wurde Sesto Senior Adviser für das Projekt «Green Faith in Action» der Stiftung «R20 Regions for Climate Change». Bei dem Projekt ging es um eine nachhaltige Gestaltung der Pilgerstätten der Welt. Da war pilgern die naheliegendste Art, an den Pariser Klimagipfel zu reisen. Dabei lernten Sesto und Gabriele die schwierige Lektion, dass man manchmal auch um etwas bitten muss. Geben ist eben seliger als nehmen. Jeden Abend mussten sie für eine Übernachtung an fremde Türen klopfen. «Das hat auf beiden Seiten Mut gebraucht», sagt Sesto, «zu klopfen und Fremden die Türe zu öffnen.»
Die Fussreise nach Paris war die Vorbereitung für die Pilgerschaft ohne zeitliche Begrenzung, die sie am 2. Februar 2016 begannen. Sie lösten ihre Wohnung auf, reduzierten ihren Besitz auf zwei Rucksäcke und stellten ihr Leben radikal um.
Ihre Art zu leben verstehen sie als «Pilgerschaft in die Gesellschaft» mit der Begegnung als zentralem Element. Wenn sie unterwegs sind, begegnen sich in erster Linie Menschen, nicht Funktionen, Rollen oder Kontostände, und das fühlt sich für Sesto und Gabriele so lebendig an wie nie zuvor. Sie werden eingeladen von Menschen, die sie im Café treffen, an Konferenzen oder im Internet und immer wieder an Freunde weiterempfohlen und lernen so viele kleine Paradiese kennen. Ihre Lebenshaltungskosten decken sie mit Spenden. «Es gibt unglaublich viele hilfsbereite Menschen da draussen», sagt Gabriele Castagnoli, der seit längerem seine beiden Hüften operieren sollte, aber den Weg der Selbstheilung gehen will.
Dieses Jahr wurden die beiden sogar nach Japan eingeladen, um dort auf einem Symposium für den internationalen Bewusstseinswandel zu sprechen. Ein Höhepunkt waren die Meditation und das Beten mit tausenden Menschen am Mount Fuji und eine wahre Flut von Einladungen zum Übernachten, die die beiden Pilger gar nicht alle in Anspruch nehmen konnten.
Es gibt zwar keine grossen Medienberichte mehr wie zu Zeiten des WSF. Aber unter dem Stichwort «Grüne Gedanken» ergeben sich immer wieder spontane Dialoge mit Gruppen an den Orten, an denen sie Station machen. Obwohl sie sich mit Ausnahme eines Blogs nicht um Publizität bemühen, sieht Sesto ihre Pilgerschaft als wirkungsvoller an als das World Spirit Forum. «Wenn du den Mut aufbringst, deinen Weg zu gehen, verändert sich die Welt», ist seine Erfahrung. Und Gabriele meint auf die Aufforderung, ihre Erfahrung in einem Satz zusammenzufassen: «Die Menschen sollen einfach losgehen.» Wenn wir uns führen lassen, brauchen wir uns um die Richtung offenbar keine Sorgen zu machen.
Der Blog von Gabriele Castagnoli: www.thegreenpilgrims.ch
Auf Facebook: Sesto Giovanni Castagnoli
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