«Die Künstler helfen sich selbst, so gut es eben geht»
Wie gehen Kunstschaffende mit der Krise um? Was für Sorgen und Ängste haben sie? Was für Ideen und Träume? Der Zeitpunkt will den Puls von Künstlern und Kulturveranstaltern spüren und sie sichtbar machen. Heute starten wir mit Wolfgang Zwiauer, Bassgitarrist und Gründer des Berner Studiokollektivs «The Zoo».
«Die Musik hat mich gerufen, ich war gut darin und sie hat mir einen kulturellen Raum eröffnet, um mich von einem kaputten Familiensystem zu erholen und Inspiration zu erfahren», erzählt Wolfgang Zwiauer. Er ist Bassgitarrist und spielt hauptsächlich Jazz, Folk, Impro und Rock. Über die Jahre kamen noch andere Instrumente dazu, synthetische und folkige. Neben der Tätigkeit als Livemusiker betreibt Zwiauer das Studiokollektiv «The Zoo» in Bern, wo er zusammen mit anderen Künstlern eigene Platten produziert. «Bereits als Teenager existierte für mich nur die Musik», so der 48-Jährige.
Zwiauer tritt seit dreissig Jahren auf sehr kleinen und sehr grossen Bühnen in der Schweiz auf – auch immer wieder mal im Ausland. Er arbeitet mit MusikerInnen der unterschiedlichsten Stilrichtungen zusammen, hat mit diesen gut einhundert Produktionen eingespielt und redet manchmal in einer Radiosendung über andere Helden des Fachs. Zudem gibt er sein gewonnenes Wissen in der Jazzabteilung der Hochschule Luzern an junge Menschen weiter. Und wenn die Lage sich entspannt, sollte er in diesem Jahr mit verschiedenen Künstlerkollegen unterwegs sein: «Als Bandmember oder als Sideman spiele ich mit Shirley Grimes, An Lár, Enders Room, Hendrix Ackle, Don Li und Hans Feigenwinter.»
Trotz Corona bot sich eben im Januar die Gelegenheit, Zwiauer live zu erleben, im Club Moods in Zürich. Es war ein Streaming-Konzert mit dem 71-jährigen Christy Doran, der Gitarrenlegende unseres Landes im Bereich Impro, Rock und Jazz. Auch am 26. Februar in der Konservi in Seon wird ein Konzert von Zwiauer übertragen. Da spielt er mit dem Songschreiber Hendrix Ackle im Trio. Weiter geht es erst wieder am 10. und 11. März im Jazzclub Bird’s Eye in Basel und am 12. März im deutschen Ulm. Klingt nach viel, aber: «Halt mal, das ist crazy!», sagt Zwiauer, «normalerweise spielen wir zwischen achtzig und hundert Konzerte pro Jahr. Unsere Agenden sind zurzeit leer.» Und wenn es dann irgendwann weitergehen würde, die Gastronomie, die Hallenbäder und die Flughäfen wieder öffnen dürften, «werden wir Musiker noch ein weiteres Jahr die Copy-Paste-Programmation der Veranstalter aushalten müssen». Damit meint er, dass erst mal die verschobenen Konzerte nachgeholt würden. «Was ja verständliche Gründe hat, aber es kommt dann eben wirklich praktisch nichts Neues dazu», resümiert Zwiauer.
Auf die Frage, was er mit seinem Schaffen bewirken will: «Ich leiste meinen Beitrag zu einer ausgeglichenen Gesellschaft über die Musik und merke dabei, dass sich inspirierende Räume beim Publikum öffnen, so wie es auch bei mir geschieht, wenn ich Konzerten anderer Kulturschaffender zuhöre. In erster Linie bin ich aber Musikhandwerker und spiele auch, um davon zu leben.» Corona geht auch an ihm nicht spurlos vorbei. Er fand einen sehr kreativen Weg, mit dem Thema umzugehen: «Ich habe im ersten Lockdown wieder mal gemerkt, dass ich Freude daran habe, anderen zu ermöglichen, eine gute Produktion zu realisieren und dabei ein anregendes Resultat entsteht. Wir haben die Serie «Life At The Zoo» ins Leben gerufen. Das Geld für die Musiker und Musikerinnen stammt von einer Stiftung und die Leute spielen ein gutes Abbild einer Schweizer Jazz- und Improszene ein, die sich unter dem Radar von Kommerz und abseits der Trampelpfade bewegt.»
In der Coronakrise wünscht sich Zwiauer viel mehr öffentlichen Diskurs, mit beiden Seiten des Spektrums, am liebsten zwanzig Stunden pro Tag. Er stellt sich ein Gremium der hellsten Köpfe und besten Wissenschaftler des Landes vor, die mit Argumenten und Fakten zu einer echten Meinungsbildung beitragen: «So könnte ich die Massnahmen besser verstehen und ich würde sogar lieber mitmachen wollen. Ich möchte zum Beispiel einfach wissen, ob der PCR-Test nun wirklich als Grundlage für Fallzahlen gut genug ist oder nicht, – wer an einer Massnahme verdient und wer verliert, – ob eine Maske nun wirklich nützt oder nicht – und was wir zu einer guten körperlichen Abwehr selbst beitragen können.
«Die Künstler helfen sich selbst, so gut es eben geht», sagt Zwiauer, der auch kreativer Lebenskünstler ist, denn immer wieder findet er Wege, sich über Wasser zu halten. «Ich konnte mir eine Art Insel in Form einer Mitgliedschaft bei einer Holzwerkstatt ermöglichen und fing dabei an, eigene Instrumente und Möbel zu bauen. «Learning by doing, für das gibt es jetzt ja genug Zeit.» Was er sehr geniesse. «Ich bin im Moment auch öfter in der Berner Münstergasse und am Marktstand anzutreffen, verkaufe da feines Bio-Fleisch und Antipasti und gebe in meinem Umfeld auch gerne mal Fahrstunden an Lernende.»
«Auf dem Markt einen Song gegen einen Salat einzutauschen, funktioniert leider nicht.»
Kultur sei ein gesellschaftliches Grundbedürfnis, das leider schwer messbar ist. Auf dem Markt einen Song gegen einen Salat einzutauschen, funktioniere leider nicht, wie sein Freund Mat Callahan kürzlich postulierte. Kultur müsse über die Gesellschaft getragen werden. «Also werden wir uns in Zukunft anders organisieren müssen», so Zwiauer, der auch das bedingungslose Grundeinkommen befürwortet. Corona sei eine Chance, sich Gedanken darüber zu machen, ob wir als Gesellschaft genau an den Ort zurück wollen, den wir durch die Massnahmen jetzt eingefroren haben. Als Musiker sei er schon vor der Krise bedroht gewesen – durch die digitalen Umbrüche und den Kollaps des alten Businessmodells Musik. «Das hat uns aber auch gezwungen, neue Wege zu suchen und in die Breite zu schauen. Musiker sind allgemein wenig auf Rosen gebettet und von Schwankungen des Systems dadurch auch weniger aufgescheucht. Wir stehen grundsätzlich näher am finanziellen Abgrund als andere mit sogenannten sicheren Jobs», erklärt Zwiauer. Man müsse sich sowieso selbst immer wieder einen Weg durch den Alltag bahnen. Und Künstler wüssten, dass ihre Existenzgrundlagen jederzeit gekürzt werden könnten, wenn es hart auf hart kommt. «Trotzdem gibt es so viele Nischen, wo so viele gute Sachen entstehen.»
Finanzielle Unterstützung habe es für ihn erst nach langem Warten und einigem Üben im Umgang mit den zahlreichen Formularen gegeben. «Jeden Monat muss ich beweisen, dass mein Umsatz um mindestens 55 Prozent zurückgeht.» Anderen Künstlern rät Zwiauer: «Befasst euch mit euch selbst, mit unserem System und einer Zukunft der Kulturbranche, die vielleicht wirklich anders sein wird, als wir es uns heute vorstellen können oder anders als das Modell, mit dem wir aufgewachsen sind.»
Auf die Frage nach der Zukunft sagt Zwiauer: «Interessant! Aber wirklich nicht vorhersehbar. Dranbleiben, weiterentwickeln und immer wieder Freude haben, an dem was schon da ist und an den neuen Verbindungen, die entstehen. Überwinden, was schon lang nicht mehr tragbar ist und das Gemeinwohl fördern – see you!»
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