Bund für Freiheit und Humanität: Die (vielleicht) kleinste Partei Deutschlands will einen politischen Rahmen für dezentrales Handeln schaffen
«Eine kleine Gruppe engagierter Menschen kann die Welt verändern», heisst es. Wie könnte das aussehen? Ein Beispiel dafür finden wir in einem kleinen Dorf in Brandenburg: Hier sind die Bewohner dabei, eine Partei zu gründen und finden: Auf die Grösse kommt es nicht an.
In Deutschland existieren mehrere hundert eingetragene politische Parteien. Der Bund für Freiheit und Humanität gehört – noch – nicht dazu. Die politische Vereinigung aus dem Dörfchen Reetz mit derzeit 40 Mitgliedern ist auf dem steinigen Weg zur Partei-Anerkennung.
Und es gehe ohnehin im Moment weniger um die Grösse oder das Ziel, Wahlen zu gewinnen, sagen die Gründer. Sondern darum, selbstverantwortlich aktiv zu werden. Auf der Webseite springt dem Interessenten die Frage ins Auge: «Wie kann eine NEUE Antwort für das Leben aussehen – angesichts der aktuellen dramatischen Veränderungen und auch der Hoffnungen und Erfahrungen von Schmerz, Ungerechtigkeit und Leid in der Vergangenheit?»
Es finden sich auf der Seite Prinzipien, Grundwerte, viele Gedanken für politische Aktivitäten. Ein festes Parteiprogramm sucht man aber vergeblich. Anton Stucki, 61, einer der Gründer, erklärt warum: «Wir möchten nicht wie andere Parteien ein Programm haben, dem man zustimmt oder eben nicht. Sondern der Bund ist eine Einladung an jedermann, das zu formulieren, was er oder sie selbst möchte und verwirklichen oder ändern will – und die eigene Verantwortung wieder anzunehmen.»
Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann - tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde.
Margret Mead
Um zu erklären, wie es zur Parteigründung kam, holt der Unternehmer aus Reetz etwas aus: «So viele Menschen haben gute Ideen und Lösungen für die Probleme an ihren Orten. Wenn alle sich einbringen würden, sähe die Welt anders aus. Aber es fehlt der politische, der soziale und meistens auch ökonomische Rahmen dafür. Die meisten Menschen fühlen sich ohnmächtig. Die Parteigründung beruht auf der Idee, eine Brücke zu bilden zwischen einer Idee und ihrer Verwirklichung – dezentral und an vielen Orten.»
Dem Bund für Freiheit und Humanität liege ein wesentliches Prinzip zugrunde, das Prinzip «Sowohl als auch».
Stucki: «Anders als bei anderen Parteien geht es bei uns nicht darum, wer Recht hat. Wir müssen uns nicht auf eine Wahrheit einigen. Jeder kann sich dafür einsetzen, was er oder sie für richtig hält – aber dabei in Kontakt bleiben und Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen.»
Er führt ein Beispiel aus dem Dorf an: Ein Bauer wirtschaftet biologisch, der andere spritzt Agrargifte. Beide denken, sie tun das richtige – in ihrem Rahmen. Normalerweise führt das zu Kämpfen.
Stucki: «Das wichtigste jetzt ist es, im Gespräch zu bleiben – und gemeinsam herauszufinden, was die Konsequenzen des eigenen Tuns sind. Wenn der Bauer mit den Agrargiften Verantwortung für die Konsequenzen seines Tuns übernimmt, wird er dem Biobauern einen fairen Ausgleich zahlen – und dabei vielleicht feststellen, dass sich das Spritzen nicht lohnt, wenn man sämtliche Kosten mit einrechnet.»
In seinem Ursprungsdorf Reetz organisierte der Bund etwa einen Tag der Offenen Höfe, um die Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen.
«Es war ein grosser Erfolg,» berichtet Jutta Ebinger, ebenfalls Gründungsmitglied. «Wir haben gemerkt, dass die Menschen miteinander reden wollen – trotz aller Unterschiedlichkeit. Dass ihnen aber meistens die Gelegenheit und der Rahmen dazu fehlt.»
Das Beispiel der Offenen Höfe macht zwei Prinzipien des Bundes deutlich. Eines davon ist dezentrales Handeln. Es geht darum, die globalen Probleme herunterzubrechen auf die Situation, wie wir sie an unseren Orten erfahren – und gemeinsam Lösungen dafür zu finden. Von der ganz lokalen Situation komme man dann bei übergreifenderen Probleme manchmal auch zu übergreifenden Massnahmen. Es könne dann auch sein, dass passende Gesetze geschaffen werden müssten. Zu viele Regelungen aber erschwerten die Situation meistens, meint Stucki. Da sei ein anderes Prinzip des Bundes wirksamer.
Stucki: «Das sind Kontakt, Austausch und Kommunikation. Die meisten Konflikte geschehen, weil man nicht mehr miteinander redet. Damit man sich wirklich zuhört und kennenlernt, organisieren wir den Austausch in Gruppen, zu denen nicht mehr als zehn Menschen gehören.»
Die politische Willensbildung im «Bund» geschieht im Wesentlichen in Zehnergruppen. Jeder kann für ein Thema seiner Wahl eine Zehnergruppe gründen oder sich einer anschliessen.
Stucki: «Wenn mich ein Thema begeistert oder beschäftigt, dann will ich darüber mit anderen reden, das ist menschlich, und wir können allein auch nicht so viel bewirken. Wenn das vorgeschlagene Thema keine Resonanz findet, dann ist das auch eine Art Feedback, mit dem ich mich auseinandersetzen muss.»
Über ganz Deutschland verteilt, gibt es bislang 17 Zehnergruppen zu Themen wie Energieversorgung (unabhängig und dezentral), Wirtschafts- und Finanzpolitik (Stichworte: humane Marktwirtschaft, Bank ohne Zinsen), Gesundheitswesen (Stichwort: Gesundheitsfördernde Bildung) und mehr.
Das Wesentliche ist laut Stucki, dass all diese Themen zusammenhängen und es keinen Sinn mehr hat, sie zu trennen. «Fürsorge, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit sind zusammenhängende Aspekte eines Gesamtsystems. Die Aufgabe kann nur sein, sich in dezentralen kleinen Gruppen über das unmittelbare Umfeld Gedanken zu machen und Verantwortung zu übernehmen – alles andere ist Ideologie.»
Aber braucht es wirklich eine neue Partei, damit Menschen vor Ort ihre Verantwortung zu sich nehmen? Stucki, der aus der Schweiz stammt, dazu: «Um die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu erzeugen, damit die Menschen auch etwas erreichen können, brauchen wir eine gesellschaftliche Kraft. In der Schweiz ist der Volksentscheid ein wichtiges Mittel dazu. Das fehlt in Deutschland. Statt dessen arbeiten wir hier mit der Gründung einer Partei. Jeder Einzelne ist aufgerufen, sich daran zu beteiligen.»
Im Bund für Freiheit und Humanität sind alle Anliegen und Richtungen willkommen – sofern sie mit dem Grundgesetz und den fünf Grundwerte des Bundes übereinstimmen. Was für Werte sind das?
Stucki: «Im Zentrum steht die Menschenwürde – und das bedeutet, den Menschen wieder als politisches, kompetentes und selbständiges Wesen anzuerkennen.»
Die weiteren Werte sind Friede, Freiheit, Gerechtigkeit und Glück.
Stucki: «Gerechtigkeit bedeutet die Möglichkeit der Menschen, selbst zu entscheiden und nicht dass über sie entschieden wird. Dazu steht der Staat in der Pflicht: Er soll die Informationen zur Verfügung stellen, die er hat und heute meistens noch zurückhält. Nur aufgrund von Informationen können wir sinnvolle Entscheidungen treffen.»
Und zum Thema Glück: «Jeder Mensch darf auf seinem Wege nach Glück streben. Die Aufgabe der Gesellschaft ist es, dieses zu ermöglichen.»
Eigentlich sind das sehr allgemeine, sogar in Verfassungen bestätigte Werte. Warum ist es wichtig, sie noch einmal als Partei zu formulieren? Stucki: «Wenn wir keinen politischen Rahmen schaffen, um diese Werte zu verwirklichen, sind sie nur ein Appell. Sie brauchen eine politische Kraft, damit sie Wirklichkeit werden.»
Und Ausbildung. Deshalb hat der Bund sogar eine eigene Akademie gegründet, die regelmässig Kurse anbietet – die Lehrbereiche sind Wirtschafts- und Finanzordnung, Landwirtschaft und Ökologie, menschlicher Gesundheitsschutz, gemeinschaftliche Fürsorge und Existenzsicherung sowie Bildungssysteme.
Bei all dem sei das zentrale Anliegen des Bundes, Menschen zu befähigen, ihr eigenes Leben aufzubauen, so wie sie sich es vorstellen. Stucki: «Dann werden wir lauter kleine Modelle haben. Diese werden sich mit der Realität auseinandersetzen, sich bewähren oder auch nicht. So entstehen an vielen Orten Lösungen, die dort praxisbewährt und sinnvoll sind. Von Menschen entwickelt, nicht von oben verordnet. Und das ist genau, was wir heute brauchen.»
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