Vor dem Leben schützt uns nur der Tod

Die Zürcher Psychoanalytikerin Jeannette schlägt einen Übergang von einer Opfergesellschaft in eine Gesellschaft des Werdens vor. Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe: «Offene Debatten» von linksbündig. Freitag, 6. Januar, 19.00 Uhr Zürich

Die Zürcher Psychoanalytikerin Jeannette Fischer ist Autorin von Büchern über Hass und Angst – und macht einen Vorschlag zur Überwindung. (Bild: zvg)

Jeannette Fischer schreibt über das Thema ihres Vortrags:
Die Angst ist eine Empfindung der Ohn(e)macht, der Wehrlosigkeit. Wer Angst verursacht, zwingt den anderen in die Knie. Es gibt keinen Grund, einen Menschen in Angst zu versetzen, ausser in der Absicht, sich Macht über ihn anzueignen. So reihe ich die Angst in einen Herrschaftsdiskurs ein und entferne sie vom gängigen Narrativ, dass wir die Angst benötigen, um der bevorstehenden Gefahr ausweichen zu können, ja, dass sie gar eine kulturelle Leistung sei.

In der Angst sein bedeutet gleichsam, getrennt von uns selber und von der Welt zu sein – ein gefährlicher Zustand, der uns anfällig macht für Manipulation und Unterwerfung.

Was wir in der Umgangssprache als Angst bezeichnen, ist zudem oft eine verklärte Opferposition: Eine inszenierte Opferposition vermag einen Täter zu benennen, den wir in der Folge legitim verachten, verurteilen, ja gar töten dürfen. Jeder Krieg beruht auf dieser Prämisse.

Die Opferposition spaltet, sie weiss, wer die Guten und Richtigen sind und weiss sie von den Bösen zu unterscheiden. Die Opferposition ist eine äusserst aggressive Position, weil sie imstande ist, das Recht für sich zu reklamieren.

Unsere Beziehungen sind von diesen Strukturen durchsetzt – wir sind eine Opfergesellschaft – und ich plädiere dafür, diesen Diskurs zu verlassen, die Spaltungen zu unterlassen und einen intersubjektiven Diskurs zu pflegen, in dem der andere als anders als ich, als Nicht-Ich anerkannt wird.

Damit schaffen wir einen Raum der heterogenen Auseinandersetzung und der Konflikte, wir schaffen einen Raum für Neugierde und Begehren, einen Raum des Werdens. Denn Leben bedeutet Wachstum, Veränderung und Lust und niemals Angst.

Freitag, 6. Januar 2023, 19.00 Uhr
Volkshaus Zürich, Grüner Saal, Staufacherstrasse 60


Jeannette Fischer ist Psychoanalytikerin in Zürich und Autorin zweier Bücher («Hass», Klostermann 2020 und «Angst – vor ihr müssen wir uns fürchten», 2022, beide im Klostermann-Verlag.
 

«Linksbündig» ist ein Zusammenschluss links-feministisch engagierter Menschen, die eine Aufarbeitung der Corona-Politik und eine offene Debatte über staatliche Massnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fordern. Im Vordergrund steht die Analyse des politischen und gesellschaftlichen Geschehens der letzten zweieinhalb Jahre aus einer dezidiert linken Perspektive.

Die Corona-Massnahmen stehen nach Auffassung von «linksbündig» in einer kontinuierlichen Entwicklung westlich-kapitalistischer Gesellschaften hin zu einem totalitären Neoliberalismus. Dieser Entwicklung gilt es mit linker Kritik entgegenzuwirken.

Fr. 3. Februar 2023
Vortrag von Fabio Vighi: Am Leben erhalten: Implodierender Kapitalismus und die Barbarei der Notlage
Fabio Vighi ist Professor für Philosophie und kritische Theorie an der Universität Cardiff in England. Er ist Lacanianer und Marxist. In seinem Vortrag verortet Fabio Vighi die Corona-Krise im breiteren Kontext der globalen Finanzkrisen. Der Vortrag ist in Englisch mit deutscher Simultanübersetzung.
Volkshaus Zürich, Grüner Saal, Staufacherstrasse 60, 19 Uhr
Verein Linksbündig: www.linksbuendig.ch