Warum es mit dem Westen zu Ende geht

Der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd liefert in seinem Buch «Der Westen im Niedergang» bemerkenswerte und überzeugende Einsichten.

(Bild: shutterstock.com)

An wen wenden wir uns, wenn wir die Welt verstehen wollen? An Journalisten, Geopolitikerinnen oder Historiker? An Astrologen, Prophetinnen oder die lauteste Stimme mit den meisten Followern?

Ich hoffe, dass Sie sich an den eigenen Geist wenden und dass Sie diesen Ihren Geist mit immer neuen Sichtweisen anregen – aktuell des französischen Anthropologen und Historikers Emmanuel Todd, dessen brillante geopolitische Analyse jetzt auf deutsch vorliegt. 

Den eindeutigen französischen Titel «La Défaite de l’Occident» hat der Westend-Verlag auf «Der Westen im Niedergang» abgeschwächt. Auf deutsch scheint noch Rettung möglich. Aber Todd – der in den 1980er Jahren das Ende der Sowjetunion prognostiziert hatte – lässt keinen Zweifel: 

Die Niederlage des Westens ist besiegelt, er kann es einfach noch nicht zugeben. Dabei sind es weniger Russland und China, die den Westen militärisch, bzw. wirtschaftlich besiegen. Es ist der Westen selbst, der den zunächst nihilistischen und dann suizidalen Weg gewählt hat.

Wie kommt Todd zu dieser Diagnose? Für Todd ist der Protestantismus die Basis der weltweiten Vorherrschaft der westlichen Zivilisation.

Seine Kernelemente: 
Eine strenge Arbeitsmoral sorgte für wirtschaftliche Effizienz.
Das hohe Bildungsideal erzeugte einen starken Mittelstand und als Folge demokratische Kräfte.
Und die Prädestinationslehre tolerierte Unterschiede unter den Menschen und ermöglichte damit den Kapitalismus mit seinem unwiderstehlichen Umverteilungseffekt.

Der Protestantismus machte England, die USA, Deutschland und Skandinavien stark. Aber er befindet sich seit dem Endes 19. Jahrhunderts in stetigem Niedergang, zuerst in einen Zombie-Protestantismus mit relativierten Werten, in dem man schliesslich sonntags nicht mehr in den Gottesdienst geht und nur noch Beginn und Ende des Lebens und die Hochzeit kirchlich begeht.

Und wenn die Kirche auch bei den wichtigen Schwellen des Lebens nichts mehr zu besorgen hat, beginnt der Null-Protestantismus. Todd, der in seinem ihm eigenen Humor klare Aussagen liebt, lässt den Null-Protestantismus mit der Einführung der «Ehe für alle» beginnen, in den Jahren nach 2010. Übrigens hat gemäss Todd auch der Katholizismus einen Null-Zustand erreicht.

Stellvertretend für den Führungsanspruch des Protestantismus stehen die WASPs, die white anglosaxon protestants, die die USA bis in die 1960er Jahre regierten und seither in ihrem eigenen Land faktisch demontiert und ersetzt wurden durch Neokonservative, deren geodominante Ziele jedes Mittel heiligen, selbst Krieg und Terrorismus.

Im Gegensatz zum vorherrschenden Narrativ definiert Todd den Westen als «liberale Oligarchie» und Russland und einige seiner Partner als «autoritäre Demokratie».

In der liberalen Oligarchie herrscht laissez-faire, solange die Besitzverhältnisse nicht tangiert werden und die Eliten den politischen Gang der Dinge ungehindert bestimmen.

In der autoritären Demokratie hat das Wohlergehen des Ganzen und seiner Bevölkerung Priorität, was praktischerweise autoritär durchgesetzt wird.

Natürlich hat der Anthropologe Todd noch eine Reihe anderer, eher unkonventionelle Indikatoren, an denen er den wahren Zustand einer Gesellschaft oder eines Landes erkennt. Sehr aussagekräftig ist für ihn die Kindersterblichkeitsrate, da sie die schwächsten Glieder der Gesellschaft und die Zukunft betrifft. Hier hat Russland die USA in einer bemerkenswerten Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten von bedrohlich hohem Niveau aus überholt.

Auch die Familienstrukturen oder die Erbfolge haben weitgehende politische Konsequenzen, wie Todd anhand zahlreicher Beispiele zeigt. Die im Westen vorherrschende Kernfamilie führt zu einer eher individualistischen Gesellschaft, die Grossfamilie zu kommunitären Strukturen.

Ein weiterer Indikator für den wahren Zustand eines Landes ist die Zahl der Ingenieure, die ausgebildet werden. Denn sie sind es, und nicht die Politologen und Gender-Wissenschaftler, die das Ding am Laufen halten: die Brücken, die Fabriken, die Energieversorgung, die technologische Infrastruktur und nicht zuletzt die Verteidigung.

Hier zeigt sich: Russland bildet mehr Ingenieure aus als die Vereinigten Staaten mit mehr als doppelt so grosser Bevölkerung, die immer noch im Ruf der technologischen Führerschaft stehen.

Russland muss nicht mit Chips aus alten Waschmaschinen vor sich hinwursteln, wie Ursula von der Leyen behauptet. In der symbolträchtigen Weltraumtechnik ist Russland führend. Seit 2011 fliegen die amerikanischen Astronauten in den zuverlässigen russischen Sojus-Kapseln zur internationalen Raumstation ISS.

Um diese Peinlichkeit zu beseitigen, bestellte die NASA für mehrere Milliarden bei Boeing einen Ersatz. Nach jahrelanger Entwicklung versagte der Starliner bei seinem ersten ernsthaften Einsatz in vergangenen Juli und musste ohne Besatzung zurückkehren. Anstatt eine Woche müssen die US-Astronauten jetzt ein halbes Jahr in der Raumstation ausharren, bis sie von einer neue Ersatzfähre von Elon Musks SpaceX wider auf die Erde zurückgebracht werden. Ein Beispiel mit eindeutiger Symbolkraft!

Emmanuel Todd macht deutlich, was für eine erfolgreiche Zivilisation entscheidend ist: verlässliche Werte, nicht zuletzt geistig-spirituelle; eine breite, auf tatsächliche Fähigkeiten ausgerichtete Bildung und eine Kultur des freien Austauschs. Der Kontrast zu den tatsächlichen Verhältnissen im kollektiven Westen könnte kaum grösser sein.

Einen stichhaltigen Fahrplan für den weiteren Niedergang des Westens versucht Todd nicht zu liefern, wenn ich mich recht erinnere. Es können immer Ereignisse auftreten, die eine Sache beschleunigen oder verlangsamen oder ihre Tendenz ändern. Aber der Grundsatz bleibt: Es lässt sich nicht aufhalten.

Für ein unaufhaltbares Ende des Spiels gibt es neben den Argumenten Todds noch eine ganze Reihe weiterer Gründe, zum Teil mit naturgesetzlichem Charakter: Unendliches Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht möglich.

Zwei erhebliche Lücken in Todds geopolitischer Analyse müssen trotz seiner stringenten Argumentation erwähnt werden:

  • Todd unterstellt den massgebenden Akteuren gute Absichten. Dass das Chaos und der Nihilismus nicht auch gewollt sein könnten, erwägt er nicht. Vielleicht will er einfach einen Bogen um das Glatteis der «Verschwörungstheorien» schlagen.
  • Todd erklärt zwar auf einer Seite die Geldschöpfung aus dem Nichts durch die Kreditvergabe der privaten Banken. Aber auf die verheerenden Konsequenzen – Überschuldung, Wachstums- und Expansionszwang und Umverteilung – geht er nicht ein. Sie würden viele der bedenklichen Entwicklungen erklären, die uns so grosse Sorgen bereiten.

An meinem «Lesebefehl» ändert das nichts. Auch das beste Buch soll das eigene Denken nicht ersetzen, sondern im Gegenteil: anregen!

Also, holen Sie sich das Buch, verstehen Sie, warum die Geschichte zu Ende geht und helfen Sie mit, eine neue zu beginnen.


Emmanuel Todd: Der Westen im Niedergang. Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall. Aus dem Französischen von Tabea A. Rotter. WestendVerlag, Oktober 2024. 350 Seiten. € 28.–.

Kommentare

Emmanuel Todd

von Eva Hug
Lieber Christoph Pfluger ich denke, Sie sind ein gebildeter Mann, aber den Todd zum Lesen zu empfehlen ist fahrlässig! Damit blasen sie ins nihilistische Horn des Weltuntergangs, des "Westen-Untergangs", das den reaktionären, diktatorischen Kräften in die Hand spielt. Todd ist kein Historiker, sondern ein Anthropologe, der mit dem Argument der "Erbfolgen", "Kernfamilien" usw. als Hauptargument seine reisserischen Voraussagen untermauern will - dies ist wissenschaftlich absolut unzulässig -  für moderne Gesellschaften kann man auf keinen Fall dieses Kriterium so gewichten! Gehts noch. Im a Bulletin wird solchem unzulässigen Behauptungen aufgesessen. DAS ist wirklich sehr bedenklich.  

Warum es mit dem Westen zu Ende geht

von j.dobler
Ich halte mich da lieber an Rudolf Steiner, dessen Aussagen und Prognosen weit weitreichender sind, der eine Impfung vorausgesehen hat, die die Seele austreiben soll, der eine Art Denkverbot, vom Westen ausgehend (Amerika) vorausgesagt hat (dieses ist ja sowas von offensichtlich mit der Polítical Corréctness) und dass der deutschsprachige Raum und dessen Kultur , der eigentlich eine Vermittlerrolle zwischen West und Ost hätte, ausgelöscht werden soll (die Veramerikanisierung und damit geistige Verarmung findet ja schon seit den Weltkriegen statt), damit die Geisteswissenschaft nicht an die nächste Hochkultur, der slawische Bereich, weitergegeben werden kann. Er hat uns mit der Geisteswissenschaft die Heilmittel an die Hand gegeben. Er sagt zum Beispiel, dass es an der Zeit ist, dass wir uns mit dem Bösen, den geistigen Widersachermächten, auseinandersetzen. Oder mit Reinkarnation und Karma. Oder er hat die Dreigliederung des Sozialen Organismus als eine Notwendigkeit der Zeit hingestellt: Solange wir den Einheitsstaat haben, wird das Leid immer grösser. Wir müssen erkennen, dass nicht alles in unserem Leben nach denselben Regeln, wie zum Beispiel Demokratie, funktionieren kann, diese hat zum Beispiel nichts zu suchen, wenn es darum geht, was für eine Heiz- oder Energieform dominieren soll im Haus, das ist eine Frage, die der Hausbesitzer zusammen mit Sachverständigen ganz individuell entscheiden muss. Der Einheitsstaat muss reduziert werden auf das Rechtswesen, wo es darum geht, die Menschenwürde zu verteidigen, wo es um Angelegenheiten geht, die uns alle betreffen, da geht’s um die Gleichheit vor dem Gesetze. Die Wirtschaft muss nach andern Regeln wirtschaften können, Sie ist zuständig für die Bedürfnisbefriedigung der Menschen, aber klar, er muss gewisse Regeln haben, die ihm das Rechtsleben vorgibt, wie maximale Arbeitszeit, Unverkäuflichkeit des Bodens, Maximalhöhe des Zinses,  und dass die Produktionskapital nicht in die Erbmasse geht, sondern immer wieder an denjenigen Fähigen, der im Sinne der Allgemeinheit produzieren will und kann, hier geht’s um Brüderlichkeit. - Das dritte Glied der Dreigliederung ist das Geistesleben, wo die Bildung, Forschung, Religion, die Medien, die Richter, das Gesundheitswesen angesiedelt sind. Diese müssen frei sein von staatlichen Vorschriften und Lehrplänen, der Lehrer muss frei sein, er muss auf das Kind und dessen Veranlagung eingehen können, da ist ein Lehrplan hinderlich, der ja nur alle gleich machen will, denn wir sind nun mal alle verschieden, eben individuell, und nicht nur das Kind, auch der Lehrer muss sich frei entwickeln können. Auch die Finanzierung darf nicht über den Staat, das Rechtsleben laufen, sondern eben frei, und nicht durch Steuerzwang. Was dabei herauskommt, haben wir mit den Medien gesehen, die staatstreu / einseitig / selektiv berichten, dasselbe bei den Richtern und Wissenschaftlern. Im Geistesleben muss Freiheit und Konkurrenz herrschen, das Beste muss sich durchsetzen können. Wenn der Staat sich nicht ins Gesundheitswesen und in die Wirtschaft (durch Subventionen) einmischen könnte und würde, könnte es nicht passieren, dass die Pharma bei den Politikern lobbyiert und Ihnen die Impfungen samt Verantwortung für die Nebenwirkungen verkaufen kann, die wir Steuerzahler berappen. Das Rechtsleben, die noch verbleibende Verwaltung, müsste dann sagen, tut mir leid, wir haben keinen Einfluss, was Gesundheit und Medikamente angeht, da seid Ihr bei uns am falschen Platz. Natürlich müssen diese drei Glieder zusammenarbeiten, aber jedes nach seinen eigenen Gesetzen, eben entweder nach dem der Freiheit, der Gleichheit oder der Brüderlichkeit. Das müssen wir einfach auseinanderhalten und unterscheiden können, wo ein Bereich angesiedelt ist und nach welchen Gesetzmäßigkeiten er wirken soll. Z.B. ist es Nonsens, wenn wir darüber abstimmen, ob die Bauern alle Bio produzieren sollen, das ist eine Einmischung des Rechtslebens ins Wirtschaftslebens, wir haben durch unseren Konsum die Möglichkeit, die Biolandwirtschaft zu fördern, dieser Hebel muss uns genügen, wir dürfen nicht den anderen Menschen durch Demokratie aufzwingen, dass sie alle Bio oder gar Vegan konsumieren müssen, das liegt in der Freiheit des Einzelnen, und nicht alle können sich Bio leisten. Diese Dreigliederung hat auch die Funktion der Gewaltentrennung, ein sich gegenseitig ergänzendes und korrigierendes Element. Es geht nun darum, dem Staat wieder mehr und mehr Aufgaben abzunehmen, die nicht zum Rechtsleben gehören. Dazu müssen wir Verantwortung übernehmen.