Wasser: Ware oder Wesen?
Vom Schicksal des Wassers im Kapitalismus – und wie Wasser diesen transformieren kann.
Ende Februar in Südportugal. Panik bei den Bauern, Sorge bei den Bürgermeistern: Der Winterregen ist ausgeblieben. Schon die letzten Jahre fiel die Niederschlagsmenge unterdurchschnittlich aus. Bohrlöcher sind leer, Bäche ausgetrocknet, ebenso der Staudamm, der zur Not Trinkwasser liefert, und aus dem Hahn kommt nur noch braune Brühe. Wie sollen die Dörfer bloss durch den Sommer kommen? Südeuropa in Zeiten des Klimawandels zeigt, was in vielen Teilen der Erde bereits Realität ist und in einigen Jahren auch weiter nördlich geschehen könnte: Wassermangel erzeugt Armut. Das geschieht nicht nur durch veränderte Regenmuster, sondern vor allem durch ein Missverständnis, was Wasser eigentlich ist. Wasser ist keine Ware. Wasser ist Leben.
Es als etwas Heiliges zu achten, das wir alle brauchen und das deshalb niemand besitzen darf, könnte eine letzte Chance sein, den Wasserkollaps des Planeten abzuwenden.
Der Wasserverbrauch stieg im 20. Jahrhundert etwa doppelt so stark wie die Weltbevölkerung. Im Jahr 2025 könnten zwei Drittel aller Menschen unter Wassermangel leiden. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 wurde Wasser so knapp, dass Entwicklungshelfer meldeten: «Ab jetzt ist auf Haiti Wasser die Währung.»
«Ein fantastisch knappes Anlagegut»
Das gilt zunehmend auch global. Jede wirtschaftliche Tätigkeit braucht Wasser. Die mächtigsten globalen Produktionszweige, Energie und Lebensmittel, stehen in direkter Beziehung mit der Menge und dem Preis verfügbaren Wassers. So verlaufen seit der Jahrtausendwende die Preisschwankungen von Mais und Öl fast immer parallel: In Trockenjahren gewinnen wir weniger Strom aus Staudämmen, die Energiekosten steigen und damit die Ölpreise. Gleichzeitig wird der steigende Preis für Bewässerungswasser auf den Preis des besonders wasserhungrigen Maises aufgeschlagen. Findige Ökonomen kamen auf die Idee, jeglichen Handelsverkehr auf Wasser umzurechnen: Wenn etwa Tomaten aus Portugal nach China exportiert werden (das geschieht tatsächlich), ist es hiesiges Grundwasser, das aus dem Land entführt wird. Man spricht dann von «virtuellem Wasser»: Die Länder exportieren «virtuell» Wasser, das sie in der Landwirtschaft eingesetzt haben. So könnte der Petro-Dollar, die traditionelle Bindung des US-Dollars ans Erdöl, schon bald durch den Wasser-Dollar ersetzt werden.
Das weckt Goldgräbergefühle für Vertreter der Spekulationsbranche. Susan Payne, die Managerin diverser Anlagefonds, verspricht Finanzinvestoren in Afrika: «Wasser wird in Zukunft ein fantastisch knappes Anlagegut sein», und stellt für wasserbezogene Investitionen jährliche Renditen von 25 Prozent in Aussicht.
Zu diesen wasserbezogenen Investitionen gehören weltweit etwa 850 000 Staudämme für die Energieversorgung und für die Agro-Industrie, denn 70 Prozent des globalen Süsswasserverbrauchs geht in den Lebensmittelanbau. Bäuerliche Landwirtschaft kann sich dieses Wasser kaum leisten; hier in Portugal wird der Grossteil landwirtschaftlicher Produkte inzwischen von Konzernen mit Arbeitern aus Nepal, Thailand oder Bulgarien hergestellt. Bauern geben auf, Dörfer veröden.
Wasserarme vs. wasserreiche Länder
Um sich den Zugang zum «blauen Gold» zu sichern, kaufen Grosskonzerne seit den 80er-Jahren die Wasserrechte von Ländern und Gemeinden weltweit, man nennt das Water Grabbing. Oft war Wasser-Privatisierung eine Auflage der Weltbank für Kredite. Private Wasserversorger aber machen in der Regel das Trinkwasser teurer und reinvestieren den Profit seltener in die Nachhaltigkeit der Systeme. So geht der weltweite Raubbau an unseren Wasserreserven weiter. Längst hat die Weltbank die Erde in sogenannte wasserreiche- und wasserarme Länder aufgeteilt.
Die Wasserkrise unseres durstigen Planeten ist das Ergebnis unserer Unfähigkeit, mit Lebendigem umzugehen.
Zu lange hatten wir in der Friedensbewegung übersehen, dass Kriege noch mehr als um Öl, um Wasser geführt werden. Gerade im Nahen Osten und in Afrika, wo vielerorts Wassermangel herrscht. Syrien führt es uns vor Augen: Nachdem der ältesten Landwirtschaft der Welt durch die Stauung von Euphrat und Tigris mit Dämmen in der Türkei das Wasser abgedreht wurde, wurde das Land ökologisch, ökonomisch und sozial destabilisiert. Das führte zu Spannungen, Extremismus und schliesslich zu Krieg.
Die Natur verteilt das Wasser gerecht
Es ist höchste Zeit zu erkennen, dass Wasser weder Ware noch Währung noch Anlagegut ist. Statt es zu berechnen wie ein Geldkonto, statt es festzuhalten, zu raffen, zu speichern, zu kanalisieren, zu stauen, abzufüllen und haltbar zu machen, damit zu feilschen und zu spekulieren – sollten wir es lieber verstehen. Die Wasserkrise unseres durstigen Planeten ist das Ergebnis unserer Unfähigkeit, mit Lebendigem umzugehen. Doch es geht auch anders, und dafür gibt es viele Beispiele. Bernd Müller, Wasseringenieur aus dem Friedensdorf Tamera in Portugal, sagt: «Wasser, Energie und Nahrung stehen der ganzen Menschheit kostenlos zur Verfügung, wenn wir der Logik der Natur folgen und nicht mehr den Gesetzen des Kapitals.»
Er ist Teil einer noch kleinen, aber global vernetzten Allianz für ein neues «Wasser-Paradigma». Dessen Prinzip ist: Wasser soll nicht kontrolliert und gestaut werden, sondern verdunsten, versickern und sich bewegen dürfen. Regen soll dort einsickern können, wo er fällt, dezentral, an möglichst vielen Orten. Das Vorbild dafür ist ein gesunder Mischwald mit humusreichem Erdboden. Er wirkt wie ein Schwamm: Vegetation und Erdkörper nehmen das Regenwasser vollständig auf und geben es langsam wieder ab. Das Wasser verdunstet, neue Wolken bilden sich, es regnet wieder: So entstehen Regenwasserkreisläufe, die landeinwärts ziehen und das kostbare Nass in die nächste Region bringen. Das Wasser-Verteilungssystem der Natur ist dem des Kapitalismus weit überlegen.
Fängt den Regen auf
Auf diesem Verständnis beruht ein Umgang mit Wasser, der Dürren und Überschwemmungen ausgleicht und Regenkreisläufe und Landschaften restauriert. Im Distrikt Thanagazi Thesil in der Nähe der Thar-Wüste im Bundesstaat Rajasthan in Indien fliessen fünf zuvor ausgetrocknete Flüsse wieder und versorgen tausend Dörfer mit Wasser. Seither hat sich die landwirtschaftliche Ernte verfünffacht. Der Mann, der das bewirkt hat, ist der Arzt Rajendra Singh, der eine Volksbewegung initiierte. Die Technik könnte nicht einfacher sein: Durch tausende traditionelle, dezentrale Stauanlagen aus Steinen und Schotter, sogenannte «Yohads», verlangsamten die Dorfbewohner den Abfluss von Regenwasser. Für seine Errungenschaften wurde Rajendra Singh der renommierte Stockholm-Wasserpreis verliehen.
Der Wasserbau-Ingenieur Michal Kravcik aktivierte Menschen aus 488 Dörfern und Städten der Slowakei, in einer degradierten Landschaft in 18 Monaten rund 100 000 kleine «Checkdams» aus Steinen und Holz zu errichten. Das Ergebnis: Der Boden wurde wieder fruchtbar, Landwirtschaft und Wälder gediehen. Auf den Bau eines geplanten Grossstaudamms konnte verzichtet werden.
Frühling in Südportugal. Wir haben noch mal Glück gehabt, der Regen kam: In drei Wochen im März fiel die Hälfte der jährlichen Regenmenge. Doch der Segen wandelt sich schnell in einen Fluch: Wer auf solche Sturzfluten nicht vorbereitet ist, dem reisst es die fruchtbare Erde weg, es kommt zu Erosion, Überschwemmungen und – wie in Kalifornien im Herbst – zu Schlammlawinen. Helfen können Wasserretentionslandschaften, wie wir sie in Tamera aufgebaut haben. Mit Teichen, Gräben, Mischwäldern und kleinen Seen sind sie ein offenes Gefäss für jede Art von Regen: Der Abfluss des Wassers wird verlangsamt, damit auch Starkregen Zeit hat, in den Erdkörper einzudringen und das Land fruchtbar zu machen.
Ob eine Landschaft ausreichend Wasser hat oder nicht, bestimmt ihren Wert für alle, die in ihr leben, ob Menschen, Tiere oder Pflanzen. Öko-Visionär Sepp Holzer formulierte es so: «Wasser ist ein Lebewesen. Und Lebewesen kann man nicht haltbar machen.»
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