«Wir können unser Leben und unsere Region gemeinsam aktiv gestalten»

Im Toggenburg ist ein kleines Refugium entstanden. Die regionale Vernetzung von Gleichgesinnten hat dazu beigetragen, dass verschiedene Projekte realisiert werden konnten. Dazu gehört ein Hofladen, eine Schule und Gemeinschaftsgärten. In unserer Rubrik «3 Fragen» erzählt uns Annemarie Suter, was das Erfolgsrezept der Gemeinschaft ist.

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  Zeitpunkt: Sie haben im Toggenburg ein kleines Refugium geschaffen. Wie ist es dazu gekommen?

Annemarie Suter: Wir hatten das Glück, dass wir uns schon vor dem Lockdown im März 2020 als Frauen im Toggenburg, die irgendwas mit Gesundheit zu tun hatten, zusammengeschlossen haben. Das Ziel war, uns gegenseitig kennenzulernen und zu unterstützen, anstelle uns zu konkurrieren. Nebst gemeinsamen öffentlichen Auftritten haben wir uns auch in einer Chat-Gruppe vernetzt. Ein Teil dieser Frauen gründete im April 2020 eine weitere Gruppe aus der Motivation heraus, sich über Fragen, Sorgen und mögliche Perspektiven, die mit Corona und den Massnahmen zusammenhingen, auszutauschen. Diese Chat-Gruppe wuchs schnell an, sodass bald der Wunsch entstand, sich auch persönlich zu treffen. So trafen wir uns im Oktober 2020 zum ersten Mal als «Stammtisch», wie wir ihn heute nennen. Seither treffen wir uns wöchentlich. Damals wie heute kann man wirklich sagen, dass es ein Refugium für uns ist. Ein sicherer Raum, wo wir uns mit all unseren persönlichen und gesellschaftsbezogenen Fragen und Ängsten öffnen können und uns eines wertfreien Zuhörraums und gegenseitiger Unterstützung sicher sein können. Geschaffen hat sich dieses Refugium fast von selbst, der Wunsch nach regionaler Vernetzung war bei vielen Menschen da, wir mussten nur noch Raum und Rahmen dafür schaffen.

Wie fördern Sie die Gemeinschaft?

Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass unsere Treffen moderiert werden. Zu Beginn haben wir gewünschte Themen gesammelt und auf Flip-Charts notiert. Damit jeder sich einbringen kann und gehört wird, reden wir oft in «Sprechstab-Runden». Das heisst, nur wer den Stab in den Händen hält, darf reden; alle anderen hören zu. So kann ein sicherer Raum entstehen, in dem sich niemand ins Wort fällt oder nur die 'Schnellsten' zu Wort kommen. Auch das gemeinsame Singen hat einen sehr positiven Einfluss auf unser Gruppenfeld. Dadurch werden im Hirn uralte, archaische Regionen angeregt, die dem menschlichen Bedürfnis nach sicherer Gemeinschaft entsprechen. Auch achten wir darauf, dass wir uns nicht mittels Kritik gegenseitig abwerten. Bei wichtigen Entscheidungen nutzen wir die soziokratische Konsententscheidung. Anders als bei der demokratischen Mehrheitsentscheidung - bei welcher immer der Teil der Gruppe, der die Minderheit ausmacht, nicht hinter der Entscheidung steht - werden soziokratische Entscheidungen von allen getragen. Dies hat einen wesentlichen Einfluss auf die Motivation aller Beteiligten, weil das Resultat für alle Sinn macht.

 Welche Projekte sind zudem in Planung? 

Projekte planen wir keine bewusst; viele Projekte, Anlässe oder Aktionen entstehen wie von selbst. Und zwar durch die wachsende Vernetzung und Möglichkeit, sich zu treffen. Sei es beim Fermentieren von Sauerkraut, beim Heilsalben herstellen, Kräuterwandern, beim Kleidertausch, in der Singgruppe oder in einer weiteren Vernetzungsgruppe, die im Tal gegründet wurde. So sind auch zwei weitere Gemeinschaftsgärten entstanden. Mittlerweile gibt es verschiedene Chat-Gemeinschaften: Wander- und Bewegungsgruppe, Naturwesengruppe, Gesundheitsgruppe sowie eine Schenk- und Tauschbörse. Zudem sind im Genossenschaftsladen, der regionale und gesunde Lebensmittel anbietet, viele von uns ehrenamtlich engagiert. 

Auch die ersten Projekte wie ein Gemeinschaftsgarten, die Ennet Schuel oder die «Räumlichkeiten für gemeinsame Anlässe» entstanden im Prinzip einfach durch das regelmässige Zusammenkommen gleichgesinnter Menschen.

Damit lebendige und souveräne Dörfer entstehen ist es wesentlich, dass sich die Menschen persönlich kennenlernen und sich regelmässig treffen. Es ist wichtig, sich wertfrei zu begegnen und Synergien zu schaffen, um unser Leben und unsere Region aktiv zu gestalten, so, wie wir uns das für uns und unsere Kinder wünschen. 

Annemarie Suter