«Der Bundesrat schickt uns Künstler in den Konkurs»

Bergführerinnen, Fitnesstrainer, Taxifahrer, Schneider, freie Journalistinnen, Schwimmlehrer, Fotografen, Tontechnikerinnen – die Liste ist lang. Selbstständige in der Schweiz, darunter Kunstschaffende, bitten um Hilfe. Der Lockdown hat sie in existienzielle Not gebracht. Zu ihnen zählt die Sängerin und Stimmcoacherin Birgit Ellmerer.

Wegen der Coronakrise alles abgesagt: Birgit Ellmerer kann zurzeit keine Jazzkonzerte geben. / Verena Sala

«Es ist ein Desaster», sagt die Jazz- und Rocksängerin Birgit Ellmerer aus Bern. «Der Bundesrat schickt uns Künstler und Kleinunternemer in den Konkurs.» Als der Lockdown losgegangen sei, so die 54-Jährige, habe der Bundesrat in einer Pressekonferenz versichert, dass niemand leiden müsse und allen geholfen werde, dass Verdienstausfälle gedeckt würden. «Jetzt ist das alles nichts.»

«Kulturschaffende sind nichts anderes als Kleinunternehmer. Wir sind ein Teil der Schweizer Wirtschaft, und zahlen Steuern. Wir haben daher genauso ein Recht auf Soforthilfe.»

Kunstschaffende und andere selbstständig Erwerbende sind von den Folgen der Coronakrise besonders hart getroffen. Für viele ist die Lage existenzbedrohend. Den Künstlern wurden alle ihre Auftritte und Ausstellungen abgesagt und die finanziellen Auffang-Angebote sind ungenügend oder gar nicht vorhanden. Besserung ist in den nächsten Monaten nicht in Sicht, da viele Lokale und Bühnen vorerst zu bleiben.

Ellmerer ist nebst Sängerin auch Gesangslehrerin und Stimmcoacherin. Sie ist empört über die Weise, wie in der Schweiz mit Künstlern und Selbstständigen umgegangen wird. Auch sie ist von der fehlenden finanziellen Unterstützung des Bundesrates betroffen. Die renommierte Musikerin fordert eine Soforthilfe vom Schweizer Staat. Damit ist sie nicht alleine. Auf ihrer Facebook-Seite hat sie letzte Woche gepostet:
 

Das böse Erwachen: Viele Selbständige und
Kulturschaffende stehen vor dem NICHTS.
Null Einkommen, keine Erwerbsersatzentschädigung
oder Beträge im lächerlichen Bereich. Und was nun?
Konkurs anmelden? Sozialamt?
 

Seither haben zahlreiche Selbstständige, Kleingewerbler und Kunstschaffende mit ihr Kontakt aufgenommen. «Ich kenne zig Leute, die zahlreiche Gigs und Tourneen absagen mussten», so Ellmerer. «Oder Bandmanager, die bis vor der Krise seit Jahrzehnten von ihrer Arbeit leben konnten, und nun – von einem Tag auf den anderen – verdienen sie nichts mehr.»

«Ich bekomme als Hilfe 3.20 Franken pro Tag»

Aber der Bundesrat hat doch finanzielle Hilfe zugesichert? «Ich bekomme als Hilfe 3.20 Franken pro Tag», erklärt Ellmerer konsterniert. «Ich habe bislang noch niemanden getroffen, der mehr als 300 Franken im Monat als Unterstützung zugesichert bekommen hat.»

Ellmerer hat für zeitpunkt.ch ein Video aufgenommen, in welchem sie über ihre Lage und über jene ihrer Kollegen und Kolleginnen im Künstlerbereich und Kleingewerbe berichtet. Es ist zeitgleich ein Aufruf an die Regierung, damit man «Bitte!» Selbstständigen in der Schweiz eine Soforthilfe zugesteht.
 

Das Video: Jazzsängerin Ellmerer bittet um staatliche Soforthilfe

 

Gedanken von Zeitpunkt.ch-Leser Heinrich Frei aus Zürich:

Am 2. Mai traf ich auf dem fast leeren Markplatz in Zürich-Oerlikon wieder einmal die alte Drehorgelfrau. Es tat einem richtig gut, die schönen Melodien der Drehorgel zu hören, an diesen grauen, tristen Samstagmorgen. Als ich vom Einkaufen zurückkam, lag der Sonnenschirm der Drehorgelfrau am Boden, und ein Polizeiauto stand neben ihr auf dem Trottoir. Die bejahrte Frau diskutierte mit den jungen Polizisten und sagte ihnen, sie lebe von diesem Drehorgelspiel. Die Polizistenbeharrten jedoch darauf, dass sie nach Hause gehen solle. Wie lange gilt dieses Verbot für die alte Drehorgelfrau? Erhält sie eine  Erwerbsausfallentschädigung wie die Leute, die in einer Bar oder einem Restaurant arbeiten?