Freundschaft in Krisenzeiten
Wie wäre es, wenn wir am diesjährigen Tag der Freundschaft bereit wären, Menschen zu vergeben? Ich frage mich, was wahre Freundschaft wirklich bedeutet und wie viele «echte Freunde» ich tatsächlich habe. Kolumne.
Wen würde ich nachts anrufen, wenn ich in Not wäre, im Wissen, dass er oder sie immer für mich da ist?
Sind es die Menschen in meinem Umfeld, die mit mir lachen oder diejenigen, die mit mir weinen? Sind es diejenigen, die ich häufig sehe oder spielt Zeit und Distanz keine Rolle? Sind es solche, die immer mit mir einig sind, oder sind es Menschen, die den Mut haben, mir zu widersprechen?
Wahrscheinlich gehört zu einer freundschaftlichen Beziehung von alle dem ein wenig. Wahre Freundschaft hingegen geht in meinen Augen jedoch weit darüber hinaus. Sie ist etwas äusserst Kostbares, und sie kommt nicht so häufig vor, wie wir das in Zeiten von unzähligen «Social Media-Likes and -Friends» vielleicht manchmal denken.
Ein wahrer Freund ist in meinen Augen jemand, der immer «mein Bestes» im Auge behält. Jemand der meine Stärken und Schwächen kennt, und sich dennoch immer auf das Gute in mir fokussiert. Jemand, dem ich vertraue und vor dem ich auch meine Verwundbarkeit nicht verstecken muss. Jemand der mich trotz all meiner Unzulänglichkeiten so liebt wie ich bin. Jemand, dessen Wertschätzung für mich gross genug ist, dass er mir offen und ehrlich Feedback gibt, um mich auf meinem Lebensweg voranzubringen … selbst, wenn er dabei riskiert, mich zu verletzen.
Wahre Freundschaft hält einer solchen Verletzung stand, denn wahre Freunde können einander verzeihen. Sie wissen von sich, dass sie einander nie böswillig etwas antun würden, sondern stets nur das Wohl des andern im Sinn haben. Wahre Freundschaft kennt weder Egozentrik noch Angst.
Die Bereitschaft zu vergeben ist in meinen Augen tatsächlich das herausragendste Merkmal wahrer Freundschaft.
Wie wäre es, wenn wir am Tag der Freundschaft bereit wären, Menschen zu vergeben? Würde das einen Unterschied in der Welt bewirken?
Vergebung ist tatsächlich ein Geschenk an uns selbst. Wenn wir jemandem aufrichtig vergeben, schwindet der Groll, das eigene Bewusstsein wird geklärt, die Seele entlastet und allmählich kommt das Vergessen – und wir sind frei, dem Gegenüber wieder in Freundschaft zu begegnen.
Ob in der Familie oder auf der weltpolitischen Bühne: Wären wir häufiger bereit, Menschen das, was sie uns bewusst oder unbewusst in der Vergangenheit angetan haben, zu vergeben (selbst wenn wir damals vermeintlich «im Recht» waren), würden viele Konflikte im Keim erstickt, anstatt Jahrzehnte lang zu schwelen. Denn «Unverzeihliches» birgt immer das Gefahrenpotenzial in sich, bei nächster Gelegenheit wieder einen Flächenbrand auszulösen.
Unsere gegenwärtige Zeit ist geprägt von Krisen... vielleicht mehr als je zuvor, und alle sind sie miteinander verbunden. Längst ist es nicht mehr möglich, das Ursache- und Wirkungsprinzip klar zu erkennen. Schuldzuweisungen sind obsolet, wenn wir realisieren, dass alles, womit wir heute global konfrontiert sind, eine Folge unseres kollektiven Verhaltens in der Vergangenheit ist.
Ich wünsche uns am Tag der Freundschaft, dass uns unser Fehlverhalten wem gegenüber auch immer aufrichtig leidtut, dass wir uns selbst und unseren Mitmenschen verzeihen können, und dass wir gemeinsam alles daransetzen, es fortan besser zu machen. Wenn wir dazu in der Lage sind, werden wir zerbrochene Freundschaften wieder aufbauen und friedlicheren Zeiten entgegenblicken können.
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Karin Fuchs-Häseli hat sich als Management Consultant auf die Bereiche Unternehmensethik und «Business im Einklang mit der Natur» spezialisiert. Ihr spezifisches Interesse gilt dabei den grundlegenden Prinzipien des Lebens – den Gesetzen der Natur – und ihrer Anwendung im persönlichen und unternehmerischen Alltag. Seit vier Jahren leitet sie «The SunHeart Business Leaders» - das erste Schweizer Business Netzwerk für ethische und nachhaltige Kleinunternehmen.
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