Wie hängt die äussere Ordnung mit unserer inneren zusammen? Ist die Natur tatsächlich unser Spiegel? Kann Aufräumen die psychische Gesundheit fördern und sogar unsere Gesellschaft aus dem Chaos führen? Kolumne von Mirjam Rigamonti Largey.

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HILFE! Ich bin am Ordnung machen und versinke im Chaos. 20 Jahre als vierköpfige Familie in einem geräumigen Haus haben ihre Spuren hinterlassen. Die Kinder sind ausgeflogen, und ein Umzug in kleinere Wohnungen ist angesagt. Nun stehen wir als Nachfahren einer «Nichts-Brauchbares-wegwerfen-Generation» vor Bergen von Waren.

Was wie ein rein individuelles Problem erscheint, zieht sich durch unsere ganze westliche Gesellschaft. Wir ersticken in materiellen Waren, die im Überfluss vorhanden sind, und auch im Digitalen erkennen wir vor lauter Informationen den roten Faden kaum mehr. Dadurch schaffen wir Probleme, welche Gesellschaft und Natur ins Chaos stürzen. Was unserem Inneren entspringt, spiegelt uns das Aussen in Form von zunehmenden Müllbergen, Artensterben, Wetterextremen, Werteverwirrungen und Aggressionen wider. Zeitgleich vermehren sich Angebote für Ordnungssysteme. Zahlreiche Bücher und Videos zeigen die besten Wege für Ordnung und Redimensionierung auf und auch im digitalen Bereich werden immer mehr strukturgebende Programme angeboten.

Die Welt ist zwar äusserlich kleiner geworden: Wir erhalten Informationen aus weit entfernten Ländern, die in wenigen Flugstunden erreichbar sind. Doch innerlich hat die Welt gerade dadurch an Komplexität zugenommen. Früher war sie gefühlt kleiner, da alles, was uns erreichte und berührte, dem näheren Umkreis entstammte. Vieles hatte seine unhinterfragte Ordnung, man vertraute noch eher den Autoritäten, die uns die Welt erklärten und Regeln und Gesetze erliessen.

Heute scheint alles möglich und machbar zu sein, gleichzeitig wird vieles, was früher klar war, in Frage gestellt, die Welt neu erfunden. Das stiftet Verwirrung, und die psychische Unordnung zeigt sich in äusserem Chaos. Viele  Menschen sehnen sich wieder nach einer klaren Ordnung und nach starken Autoritäten, die Halt geben können. So werden Heilslösungen angeboten und fast inflatorisch neue Regeln und Gesetze erschaffen. Es wird an Symptomen «herumgedoktert», und da diese nicht an den Wurzeln ansetzen, braucht es immer noch mehr Interventionen. 

Doch ist es gerade dieses «Immer-mehr», dieser Drang nach exponentiellem Wachstum, das die Probleme erschafft. Zahlreiche indigene Völker erinnern uns daran, dass vieles in der Natur in Kreisläufen geschieht und kreisförmig aufgebaut ist. Weil unsere Erde ein geschlossenes System ist, müssen wir wieder lernen, das zu managen, was sie uns zur Verfügung stellt, so wie es die Kreiswirtschaft anstrebt.

Wenn wir aufhören, alles nach unserem Willen be-herr-schen zu wollen und uns wieder als harmonischen Teil der Natur erleben, können wir entspannt MIT statt GEGEN die natürliche Ordnung handeln und von der Natur lernen. Wenn wir sie nicht stören – im irrigen Glauben sie optimieren zu müssen –, wenn wir ihre Schätze und ihren Reichtum erkennen, beschenkt sie uns mit heilenden Pflanzen, gesunder Nahrung und reiner Luft, die Körper und Psyche stärken.

Die Natur ist aus Symmetrien und Fraktalen aufgebaut und spiegelt Ordnung und Harmonie. Darum ist der Aufenthalt in der ursprünglichen Natur so heilsam, schenkt uns ein Gefühl von Verbunden-Sein, von innerer Heimat und stärkt unser Vertrauen, in einer grösseren Schöpfung geborgen zu sein.

Aus psychotherapeutischen Behandlungen weiss man, wie wichtig es ist, bei innerer Unordnung äussere Strukturen zu schaffen sowie Erklärungen und Sinnhaftigkeit zu finden. Dabei kann gerade das konkrete Schaffen von Ordnung im Aussen auch innerlich zu einem neuen Überblick beitragen und erkennen helfen, was wirklich wesentlich ist. Zudem lernen wir, nicht mehr benötigten Ballast zu erkennen und loszulassen, um uns Luft und Raum für Neues zu erschaffen.

Gehen wir dabei Schritt für Schritt vor, so überfordern wir uns nicht durch eine schier unbezwingbare Arbeitsmenge und erleben, dass tatsächlich der Weg das Ziel ist. Wir werden wieder zu Handelnden, die Einfluss auf unser Leben nehmen können. Solche Prozesse können sowohl mit materiellen Dingen geschehen, als auch mit Beziehungen oder Problemen, die uns belasten. Auch hier gewinnen wir Raum für Neues und nicht zuletzt auch Freiraum für uns selber.

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Mirjam Rigamonti

 

 

 

Mirjam Rigamonti Largey aus Rapperswil in St. Gallen ist Psychotherapeutin, hat Psychologie, Religions-Ethnologie und Ethnomedizin studiert, arbeitet als Kunstschaffende, freie Schriftstellerin und als Friedensaktivistin.

https://www.zeit-wende.net/

Kommentare

Der Wert wird vom Individuum definiert, nicht der Wert definiert

von juerg.wyss
das Individuum. In diesem Artikel hat es viel Wahres, aber auch viel verdrehtes. Das ist der heutige Zeitgeist, die Wahrheit wird bis zur Unkenntlichkeit verdreht.  So kann aufräumen keine psychische Gesundheit fördern, das aufräumen kann eine psychische Krankheit heilen. Obwohl das auch falsch ist, man kann keine Krankheit heilen, man kann einen Menschen heilen, indem man die Krankheit entfernt. Ebenso verhält es sich mit dem aufräumen, eine gesunde Psyche räumt von selber auf, ergo ist ein Nichtaufräumen ein Symptom einer kranken Psyche. So ist ein instrumentalisiertes aufräumen nur eine Symptombekämpfung und keine Therapie. Dann der zweite Trugschluss, der durch falsche Wortwahl ausgeführt wird. Ist die Natur unser Spiegel. Es ist nicht die Natur, es ist unsere Umwelt, die unser Spiegel ist. Da unsere Umwelt aus Technik und von Menschen aus Profitgier zerstörter Natur besteht, muss auch hier das Vorzeichen geändert werden. Nicht die Natur ist unser Spiegel, sondern die Natur SOLLTE unser Spiegel sein. Ich denke, diese zwei Beispiele sollten den Leser dazu animieren, selber zu denken, und nicht einfach Gedanken anderer zu konsumieren. Es reicht nicht Texte zu lesen, Ihr müsst Eure eigenen Gedanken über das Gelesene machen! 

Dieser Artikel benötigt keine Kritik - er hat seine Logik

von Mycelian
Wer nicht nur Überschriften und Unterüberschriften liest kann feststellen, das Fragezeichen eine Bedeutung haben und Perspektiven der Autorin keine Korrektur benötigen. Wer Authentizität und Menschlichkeit präferiert kann sich inspirieren lassen - wer Logik und Verstand als Maß aller Dinge anlegt, kann seine Logik als Maßstab über alles sehen. Ein Trugschluss ist - zu bewerten - wer selber denkt benötigt keine belehrenden Kommentare ;-)

Haltung der Schriftstellerin

von Peter Schneck
Mir ist nicht das einzelne Wort oder ein Satz, der mit dem Skalpell zerlegt wurde, wichtig. Ich versuche die Haltung, die innere Verfassung des Autors/ Autorin zwischen den Zeilen zu erfassen, und vergleiche sie mit meiner Haltung und meinem Empfinden zur Sache. Das analytisch-wissenschaftliche stört mich eher in solchen Themen. Besser wäre, ich hätte zuerst zum Artikel von Miriam Rigamonti geschrieben und die Kommentare nicht gelesen. Diese Klug... irritiert mich im Moment.