Ein Jahr Corona. Dieses Mal wirds persönlicher. Was habe ich in diesem Jahr gemacht? Als Musiker nutzte ich die vielen Stunden, die ich durch die Einschränkungen plötzlich hatte, für ein neues Projekt. Aber klar, zu Beginn der Krise war es nicht einfach, gar nicht – ich verfluchte das Virus.

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Das Corona-Jahr 2020 mit all seinen Einschränkungen und Auftrittsverboten war im Speziellen für auftretende KünstlerInnen eine mittlere Katastrophe. Anfänglich waren es noch einzelne Auftritte, die ich aus meiner Agenda streichen musste. Als wir uns aber letztes Jahr im März plötzlich in einem Lockdown befanden, und sich abzeichnete, dass wahrscheinlich alle Konzerte und Lesungen ins Wasser fallen würden, sank mein Gemütszustand auf den Tiefpunkt.

Zwei Tage hing ich antriebslos in meiner Wohnung rum, verfluchte das Virus und die ganze Welt. Am dritten Tag realisierte ich plötzlich, dass ich durch all die gestrichenen Termine auch etwas sehr Wertvolles gewann, nämlich Zeit. Seit Jahren wünschte ich mir wieder mal ein Zeitfenster, um ungestört und konzentriert an neuen Texten und Songs zu arbeiten. Und genau dieser äusserst wertvolle Rohstoff, die Zeit, war durch meine leere Agenda, nun völlig unerwartet, im Überfluss vorhanden. Es mag seltsam klingen, doch plötzlich freute ich mich sogar über den Lockdown.

Nachdem ich früher englische Songs und später berndeutsche Lieder geschrieben hatte, reizte es mich, mal etwas Neues auszuprobieren. So setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb meine ersten hochdeutschen Songtexte. Drei Monate später lagerten in meiner Schreibtischschublade 21 Textblätter. Nach kritischem Durchlesen sah ich mich allerdings dazu gezwungen, drei der Texte in kleine Papierschnitzel zu zerreissen und in den Papierkorb zu werfen. Dann begann ich, die Musik für die verbleibenden 18 Texte zu komponieren. Dazu verkroch ich mich in mein Homestudio. So entstanden nach und nach 18 Lieder mit witzigen, lyrischen und auch kritischen Texten. Stilistisch bewegt sich das Ganze zwischen Rap, Trash-Metal, Funk, Rock und psychedelischen Elementen.

Es versteht sich von selbst, dass zu diesem Zeitpunkt mein Corona-Blues längst das Weite gesucht hatte. Mir ging es blendend. Nach zwei intensiven Band-Proben mit den Musikern, die dem Projekt zugesagt hatten, stand die Wahl eines Band-Namens auf dem Programm. Wir entschieden uns «Tassenschrank». Der Name passt sicher gut zu den Texten. Ausserdem sind bei uns alle Tassen im Schrank. Und sollte ein Bandmitglied mal nicht mehr alle Tassen im Schrank haben, so gibts ja noch den bandinternen Psychologen, unser Sänger, der auch studierter Psychologe ist. Und der kann allfällig verlorengegangene Tassen wieder in den Schrank zurück bugsieren.

Da eine professionelle CD-Produktion unglaubliche Summen verschlingt, sind wir Profi-MusikerInnen auf staatliche und private Kulturförderung angewiesen. Mit umfangreichen Dossiers, die einen detaillierten Projektbeschrieb, Lebensläufe, ein detailliertes Budget sowie einen Terminplan beinhalten, muss man sich bei den Förderstellen um Beiträge bewerben. Das bedeutet unglaublich viel Büroarbeit. Ich würde das Verhältnis von kreativer und administrativer Arbeit in unserem Beruf auf etwa 50:50 schätzen.

Irgendwann werden wir unsere fertige CD in den Händen halten und auf das hoffentlich gelungene Werk anstossen. Eine CD, die so komisch es klingen mag, nicht zuletzt auch durch diesen fiesen, die Menschheit peinigenden Virus überhaupt möglich wurde. Wenn ich im letzten Jahr etwas gelernt habe, dann ist es die Erkenntnis, dass Corona auch seine positiven Seiten haben kann.
 

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