3 Fragen an Patrick Ziegler

Als Präsident des Dachverbandes «Bildung zu Hause» setzt er sich dafür ein, dass jedes Kind in der Schweiz das Recht erhält, dort zu lernen, wo es sich am besten und am liebsten entfaltet. Der Verband vernetzt und berät Familien, deren Kinder im Homeschooling unterrichtet werden. Auch Patrick Zieglers fünf Kinder bilden sich zu Hause aus. Der 42-Jährige ist überzeugt, dass diejenige Schule in Zukunft Erfolg haben wird, in der kein Notendruck besteht, sondern auf Freiwilligkeit der Lerndenden aufgebaut ist.

© zvg

Zeitpunkt: In der Schweiz entscheiden sich immer mehr Eltern, ihre Kinder im Homeschooling zu unterrichten. Womit hat das zu tun?

Patrick Ziegler: Zuerst muss man festhalten, dass die meisten Eltern ihre Kinder wohl aus Überzeugung in die Volksschule schicken und Homeschooling nur eine Randerscheinung ist. Die Schule ist eine wertvolle Errungenschaft, die ich nicht schlecht machen will. Eine zunehmende Zahl von Eltern sieht allerdings auch, wie viele Kinder unter dem Leistungsdruck leiden und ihre Freude am Lernen verlieren. Wer bei seinem Kind eine solche Entwicklung beobachtet und die Möglichkeit hat, etwas zu verändern, der schuldet ihm dies auch. Weiter hat die Wissenschaft mit Personen wie Remo Largo sicher auch ihren Teil dazu beigetragen, dass man heute das Lernen anders versteht. Will heissen: dass das Lernen eine der ursprünglichsten Fähigkeiten des Menschen überhaupt ist, und es dazu nicht zwingend eine Institution oder einen Profi braucht.

Homeschooling ist ziemlich ansteckend: Wer seine eigene Schulzeit eher negativ erlebt hat und dann sieht, wie glücklich und begeistert Kinder auch ohne Schule lernen können, der wird darüber nachdenken, weshalb das so ist. Die Zahl der Homeschooling-Kinder wird wohl vorerst weiter ansteigen. Bestimmt bremst das künftig auch wieder ein wenig ab, denn Homeschooling ist nicht für jede Familienkonstellation die beste Wahl. In der heutigen Zeit die Entscheidung zu treffen, die Bildungsverantwortung selber wahrzunehmen, ist eine radikale Entscheidung, und es braucht doch ein paar Voraussetzungen, um mit dieser Bildungsform glücklich zu werden.

Die Zunahme bei Homeschooling könnte ja auch als Antwort darauf verstanden werden, dass Eltern das heutige Bildungssystem als veraltet erleben?

Die Menschheit ist permanent im Wandel, tendenziell immer schneller. Um damit in Zukunft klar zu kommen, muss auch die Bildung flexibler werden. Was heute an erfolgreichen Kadertrainings und Engineeringschulen zum Thema Agilität gelehrt wird, ist weit von dem entfernt, was in der Volksschule läuft. Ich sehe Erwachsenenbildung viel gewinnbringender, beglückender und effizienter, als das, was ich in meiner eigenen Schul- und Studienzeit erlebt habe. Vielleicht hat es mit Freiwilligkeit zu tun? Aus der Pädagogik und Hirnforschung wissen wir schon seit Jahrzehnten, dass das menschliche Gehirn durch Begeisterung und Freude aufnahmefähig wird und vernetzen kann, hingegen durch Druck und Bedrohung in den Notfallmodus geht. Diejenige Schule, in der die Kinder auch ohne Prüfungen und Noten vollen Einsatz geben, und zwar weil sie einfach wollen, die wird in Zukunft Erfolg haben – sei es nun die Volks- oder irgend eine andere Schule. Die Welt von morgen braucht Menschen, die bereit, fähig und begeistert sind, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen.

Corona: Plötzlich hat die ganze Schweiz Homeschooling gemacht. Was hat dies in Bezug auf Bildung zu Hause verändert?

Die Schweiz hat kein Homeschooling gemacht, sondern erzwungenen Fernunterricht. Mein grosser Respekt gehört all den Lehrern und Eltern, die diesen Umstieg unvorbereitet gemeistert haben. Während die einen Eltern merkten, wie toll das Lernen mit den Kindern sein kann, waren andere am Verzweifeln. Dies hat wenig gemeinsam mit einem wohlüberlegten Entscheid, wie ihn die meisten Homeschooler gefällt haben. Bei den Anfragen haben wir seit Corona einen leichten Anstieg verzeichnet. Ich rechne aber damit, dass da auch übereilte Entscheidungen mit dabei sind, die beim ersten Windstoss wieder rückgängig gemacht werden.

Ob Homeschooling in der Gesellschaft und schweizweit salonfähig wird, ist schwer vorauszusagen. Leider gibt es Politiker und Behörden, die diese Lernform nicht als bunte Ergänzung in der schweizerischen Bildungslandschaft sehen, sondern als eine Art Bedrohung des sozialen Friedens. Die Argumente gegen Homeschooling, die aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht viel Sinn ergeben, stammen aus den Anfangszeiten der Industrialisierung. Viele glauben, dass die Schule, wie sie in unseren Köpfen oft noch vorherrscht, der Ursprung unseres Wohlstandes ist.