Achtsamkeit und Gegenwärtigkeit als Weg zu innerem Frieden

Selbst die positivsten Veränderungen im Aussen, selbst das Wissen um Techniken für eine friedliche Kommunikation können nur dann wirksam und nachhaltig sein, wenn wir am inneren Empfinden und an unserer individuellen Entwicklung arbeiten. Dann strahlt der gelebte innere Frieden sogar so auf die Umgebung aus, dass gleichzeitig der äussere Frieden erschaffen werden kann. Die vierteilige Serie «Frieden lernen» soll Anstoss sein, als auch Neugier wecken, in Richtung inneren und äusseren Frieden. Letzter Teil.

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Es gibt Menschen, die selbst unter widrigsten Umständen mit Humor reagieren können und dadurch Leichtigkeit und Hoffnung verbreiten. Der österreichische Neurologe und Psychologe Viktor E. Frankl, Begründer der Logotherapie, hat selbst erfahrene, eindrückliche Beispiele aus den Konzentrationslagern der Nazizeit beschrieben und ergänzt: «Der Humor ist eine Waffe der Seele im Kampf, um ihre Selbsterhaltung. Ist es doch bekannt, dass der Humor wie kaum sonst etwas im menschlichen Dasein geeignet ist, Distanz zu schaffen und sich über die Situation zu stellen, wenn auch nur, für Sekunden.»

«Beim Einatmen schenke ich meinem Körper Ruhe, beim Ausatmen lächle ich.»

Doch auch unter weniger dramatischen Umständen finden sich Menschen, die mit ruhiger und freundlicher Gelassenheit auf verbale Angriffe und Diffamierungen reagieren. Ein Beispiel ist der Historiker Daniele Ganser, der auf integre Art öffentlich zu seinen Überzeugungen steht. Dies gelingt ihm, indem er oft und wachsam in der Natur ist und meditative Achtsamkeits- und Atemtechniken anwendet, die der kürzlich verstorbene vietnamesische Achtsamkeitslehrer und Friedensaktivist Thich Nhat Hanh gelehrt hat.  Dabei kann eine Atemtechnik durch folgende Zeilen verstärkt werden: «Beim Einatmen schenke ich meinem Körper Ruhe, beim Ausatmen lächle ich. Ich verweile im gegenwärtigen Moment und weiss, es ist ein wunderbarer Moment.»

Gerade in unserer beschleunigten und überladenen Lebensweise sind dies heilende Momente der Ruhe und Dankbarkeit. Allerdings ist es nicht damit getan, weltabgewandt und selbstbezogen zu meditieren, sondern es ist auch wichtig, dass wir belastende Geschehnisse wahrnehmen und die dadurch ausgelösten negativen und unerwünschten Gefühle durch Achtsamkeit annehmen, loslassen und schliesslich transformieren. Thich Nhat Hanh vergleicht negative Gefühle mit Kompost, der die Energie hat, Blumen gedeihen zu lassen. In diesem Sinne werden potentiell destruktive Gefühle wie zum Beispiel Wut, durch die ruhige Energie der Achtsamkeit in Verstehen, Mitgefühl und innere Freiheit verwandelt. Wir gewinnen inneren Frieden, den wir nach aussen tragen können, um auf konstruktive Art politisch aktiv sein. Wir lernen, dass wir die Wahl haben, ob wir mit Gewalt oder mit Verständnis und Mitgefühl agieren wollen, da beide Eigenschaften in uns angelegt sind.  Zusätzlich wird die Erfahrung verstärkt, dass wir mit allem und jedem verbunden sind und wir können so unsere Entwicklung dem Dienst der Allgemeinheit unterordnen.

Wertvoll ist, dass Thich Nhat Hanh seine Meditationstechniken auch in den Alltag integriert, indem er dazu ermutigt, selbst alltägliche Handlungen, wie zum Beispiel Essen, zu einem bewussten und achtsamen Erlebnis zu gestalten.

Wir leben in einer Kultur, bei der Gewalt mit Gegengewalt beseitigt werden soll. Unrecht muss gerächt werden. Dabei ist Vergeltung oft wichtiger als der Schutz der Gesellschaft vor dem Täter. In der Tora geht es um «Auge um Auge, Zahn um Zahn.» Ghandhi hat folgerichtig gesagt: «Auge um Auge macht die ganze Welt blind.»

Eine bessere Lösung für den inneren und äusseren Frieden scheint mir das hawaiianische Vergebungsritual Ho‘oponopono zu sein, bei dem zwischenmenschliche Konflikte gelöst werden, indem jeder dem anderen und sich selber vergibt und sich zur Liebe sich selber und dem andern gegenüber bekennt. Das bedeutet nicht, dass alles gut geheissen wird, sondern dass man sich von negativen Verbindungen und Verstrickungen aus der Vergangenheit befreit, um in der Gegenwart klarer handeln zu können. Dadurch können Schuldzuweisungen aufgelöst werden, wir übernehmen Verantwortung für unsere Gefühle und unser Handeln und es entsteht wieder Raum für Lebensfreude und bedingungslose Liebe.

Praktisch alle mir bekannten spirituellen Lehrer sind sich einig, dass es wichtig und friedensfördernd ist, achtsam im JETZT zu leben. Wenn wir kleine Kinder betrachten, erkennen wir oft diese Haltung: Sie sind in ihrem Spiel gegenwärtig, mit allen Sinnen, voll konzentriert, lustvoll und zentriert. Da wir alle diese Erfahrungen gemacht haben, tragen wir dieses Wissen seit Geburt in uns. Die spirituellen LehrerInnen zeigen uns durch Achtsamkeits-Techniken einen Weg, wie wir dieses Tor wieder aufstossen können.

So schliesst sich der Kreis unserer Entwicklungsgeschichte durch alle Kulturen hindurch und verbindet uns alle mit unserem Erbe und unseren uns allen eigenen Gefühle der Liebe und des Mitgefühls.

 


Alle Teile im Überblick:
Teil 1: Frieden lernen
Teil 2: Kommunikation, die Brücken baut
Teil 3: Das Verbindende der Kreiskulturen