Mit unsere Art, die Welt zu sehen, der Art wie wir sie deuten, mit unserem Glauben und unseren Überzeugungen gestalten wir schlussendlich einen grossen Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Andere Völker können uns helfen, über den Tellerrand zu schauen. Die vierteilige Serie «Frieden lernen» soll Anstoss sein, als auch Neugier wecken, in Richtung inneren und äusseren Frieden. Teil 3.

Bild von Esther Richli/© zvg

Was, wenn der Mensch von Grund auf gut wäre? Bei dieser alten, ungelösten Frage, die zur Glaubensfrage wurde, stehen sich die Meinungen diametral gegenüber. Jede Seite will Recht haben und es kommt zum unnötigen Meinungsstreit. Doch letztlich lassen sich Glaubensfragen nicht beweisen und haben mehr mit der individuellen Entscheidung zu tun, mit dem, was wir glauben wollen. Wichtiger als das Ringen um Beweise, ist das Wissen um die Konsequenzen und Folgen unserer Entscheidungen. Welche Auswirkungen es haben kann, wenn wir uns dafür entscheiden, an das Gute im Menschen zu glauben, zeigt Manitonquat auf, indem er uns die «ursprünglichen Weisungen» näherbringt. Als Nordamerikaner mit indianischen Wurzeln, der Erfahrungen in der Arbeit mit US-Sträflingen machen durfte, kennt er sowohl die indianische, als auch die Kultur des weissen Mannes und kann dadurch beide Seiten aufzeigen.

Doch wir wachsen in eine Welt hinein, in der falsches Handeln voreilig als böse abgestempelt und bestraft wird.

Die Ältesten der Wampanoag-Indianer baten Manitonquat, die «ursprünglichen Weisungen» zu verbreiten, weil viele unserer aktuellen Probleme dadurch gelöst werden könnten. Viele von uns haben die Weisungen vergessen und damit auch, wer wir wirklich sind. Als Säuglinge und Kleinkinder sind wir alle noch unschuldig, vertrauensselig, offen und angstlos, begierig darauf, zu lernen und das Leben mit allen Sinnen auszukosten. Doch wir wachsen in eine Welt hinein, in der falsches Handeln voreilig als böse abgestempelt und bestraft wird, Konkurrenz und Leistung als wesentliche Werte vermittelt werden, Schwächen mehr Gewicht haben als Stärken und letztere nicht absichtslos gelobt werden. Unsere Welt ist voller Verlockungen, die die Verkaufsindustrie uns schmackhaft machen will und ausgefüllt mit Arbeit und Ablenkungen, die uns von der inneren Stille und unserem Kern wegführen.

Die Lehren unserer Kirchen zeigen uns eine Ethik der Strafe (Sünden und Schuld) und die Erbsünde lehrt uns, dass wir von Geburt an mangelhafte Wesen sind. Die Indianer, die nach den «ursprünglichen Weisungen» leben, vermitteln den Menschen hingegen eine Ethik des Herzens und orientieren sich nach der Fülle der Natur. 

Die wichtigsten drei Weisungen, die laut Manitonquat ausreichen würden, durch Selbstveränderung auch die Welt zum Guten zu verändern, sind, «der Kreis, Respekt und Danksagung». Alles was existiert ist miteinander verbunden, steht in Beziehung miteinander. Kreise zeigen sich in der runden Bauweise vieler indigener Dörfer. Doch auch in der Natur ist vieles durch Kreise und Spiralen geprägt (Planetenbahnen und -Formen, Windkreisläufe, Jahreskreise, Kreissymmetrien …).

Bei den Indianern versammelten sich die Menschen ursprünglich in Kreisen. Durch diese Art zu kommunizieren, wurde die Gleichwertigkeit aller Menschen betont und jeder wurde in Augenhöhe  gesehen und angehört. Die Menschen in solchen Kreisen reden ohne unterbrochen zu werden und erhalten dadurch die ungeteilte Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe. Eine Art heiliger, achtungsvoller Respekt gilt sich selber, den Menschen im Kreis, als auch der Erde und allen ihren Geschöpfen gegenüber. Und erst auf der Basis von Respekt kann wahre Liebe aufbauen. Manitonquat hat in seiner Arbeit mit Strafgefangenen die Erfahrung gemacht, dass gerade das respektvolle, offene Zuhören es auch harten Kriminellen ermöglichte, dass sie ihren ursprünglich weichen und verletzten Kern ohne Scham und Gesichtsverlust erstmals erleben und offenbaren durften. Dabei betont er, dass respektvolles, offenes Zuhören nicht bedeutet, dass man die Handlung deswegen mögen muss. Es geht ums Wahrnehmen und Verstehen.

Der vietnamesische, buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh wurde nach den Anschlägen von 9/11 gefragt, was er zu Osama bin Laden sagen würde. Seine Antwort «Ich würde ihm zuhören» zeugt auch von dieser respektvollen Haltung.

Auch die afrodeutsche TV-Moderatorin Mo Asumang zeigte diese Haltung, als sie das Gespräch mit Neonazis in Deutschland und mit Vertretern des Ku-Klux-Klans in den USA gesucht hat und dabei die Begegnung mit den Menschen hinter den verkrusteten Ideologien finden wollte. Vor-Urteile zementieren Spaltung und Hass auf beiden Seiten. Nur der ehrliche Wunsch, dem Mit-Menschen sogar im Feind zu begegnen, kann Brücken bauen. Geschieht das zusätzlich im Geiste der Danksagung, wird der Fokus auf das Gute der Situation oder des Gegenübers gerichtet, so dass es zu offeneren und kreativeren Lösungsfindungen kommen kann. 

 


Ausblick: Im vierten und letzten Teil dieser Serie wird der innere Frieden thematisiert.

Bisher erschienen:
Teil 1: Frieden lernen
Teil 2: Kommunikation, die Brücken baut

 

Lesestoff:

Manitonquat: Die ursprünglichen Weisungen, Biber-Verlag

Ursprüngliche Weisungen: Respekt, der Kreis, Danksagung, Bewusstheit, Humor, Ehrlichkeit, Demut, Grosszügigkeit, Gastfreundschaft, Weisheit, Mut, Schönheit.