Der Umgang unter uns Menschen ist kompliziert und der «Turm zu Babel» scheint leider noch allzu lebendig zu sein. Er führt zu Spaltung, Streit und grosser Einsamkeit in unserer Gesellschaft. Aus diesem Grund lohnt es sich, Methoden einer friedensfördernden Kommunikation näher anzuschauen. Die vierteilige Serie «Frieden lernen» soll Anstoss sein, als auch Neugier wecken, in Richtung inneren und äusseren Frieden. Teil 2.

© pixabay

Alle wollen Frieden und dennoch gibt es seit über 5000 Jahren immer wieder Kriege. Nach dem zweiten Weltkrieg schrien die Menschen in Europa voller Inbrunst und Überzeugung «Nie wieder Krieg!». Doch gerade der aktuelle Krieg in der Ukraine zeigt, dass viele Machthaber und grosse Teile der Bevölkerung immer noch nicht gelernt haben, achtsam und diplomatisch vorzugehen, um einen Flächenbrand möglichst zu verhindern. Warum ist «Frieden» bloss so schwierig, obwohl die Menschen sich danach sehnen? Ist Frieden lernbar?

Die Giraffensprache und die Wolfssprache.

Der Psychologe, Mediator und Gewalttrainer Marshall B. Rosenberg ging den Fragen nach, warum manche Menschen ihre einfühlsame Natur verlieren, ausbeuterisch und gewalttätig werden, dagegen andere Menschen, selbst in widrigsten Umständen, empathisch bleiben. Inspiriert von US-Psychologe Carl Rogers und Pazifist Mahatma Gandhi entwickelte er die Methode der «gewaltfreien Kommunikation (GFK)». Sinnbildlich nannte er die gewaltfreie Kommunikation «Giraffensprache» und die aggressionsfördernde, lebensentfremdende Kommunikationsart «Wolfssprache». Mit dem Wolf assoziierte er eine eher angriffiges und vor nichts zurückschreckendes Verhalten und mit der Giraffe verband er Weitsicht, wegen des langen Halses sowie des Mitgefühls, weil sie unter den Landsäugetieren das grösste Herz hat.

Es gibt Verhaltensweisen, die unser Gegenüber ärgern und zu aggressiven Reaktionen führen können: So achtet die «Wolfsnatur» auf Regeln und Normen, fühlt sich meist im Recht und sucht nach Schuldigen. Sie bewertet, klassifiziert, interpretiert, analysiert und kritisiert die Aussagen des Andern und weiss immer, was mit ihm nicht stimmt. Wenn das Gegenüber die gleichen Verhaltensweisen an den Tag legt, fühlt sich «der Wolf» schnell angegriffen und kontert mit Gegenattacken oder verschliesst sich.  

Anders verhält sich ein Mensch mit «Giraffennatur»: Er spricht und hört mit grossem Herzen zu, achtet die Gefühle des Gegenübers, verbalisiert seine eigenen und versucht die Bedürfnisse des Andern herauszufinden. Er vermeidet die Verhaltensweisen des «Wolfes» und nimmt verbale Angriffe nicht persönlich, sondern sucht darin nach Gefühlen und unerfüllten Bedürfnissen. 

Diese Haltung wird durch folgende vier Kommunikationsschritte vereinfacht:

  1. Beobachtung: Die Situation wird aus einer Distanz aus beobachtet, jede Wertung wird vermieden.
  2. Gefühle: Was für Gefühle löst die Situation in mir aus?
  3. Bedürfnis: Welche Bedürfnisse stehen hinter diesen Gefühlen?
  4. Bitte: Die Bedürfnisse werden als Bitte in positivem und konkretem Sinne formuliert.
     

Dies sind hilfreiche Wegweiser, die die Fähigkeit schulen, unseren Mitmenschen wirklich zuzuhören und gleichzeitig auch die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu beachten. Einen Schritt weiter gehen die Diplom-Pädagogin Margret de Backere und die Dharmalehrerin Steffi Höltje. Sie verbinden Rosenbergs Anleitungen mit der Achtsamkeitspraxis des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh. Dabei soll die gewaltfreie Kommunikation nicht nur eine Technik sein, sondern zu einer inneren, empfundenen und gelebten Haltung werden. Unser Gegenüber wird als Mensch mit gleichen Bedürfnissen wahrgenommen, dem es auch wichtig ist, glücklich zu leben und wertgeschätzt zu werden. Das Erkennen der Gemeinsamkeiten ermöglicht Verbundenheit und die Kommunikation wird dadurch wohlwollend und respektvoll.

Man fällt nicht in die Rolle des verletzten Opfers, das sich wehren muss, hinein, sondern behält Distanz und Überblick.

Gleichzeitig lehrt die Achtsamkeitspraxis auch, uns selber liebevoll-kritisch zu beobachten und an eigenen Schwächen zu arbeiten. Eingeübt wird dies durch bewusstes Atmen und meditative Praktiken. Dies hilft in schwierigen Gesprächssituationen eine achtsame Distanz zu wahren und gleichzeitig eine tiefe Verbundenheit im gemeinsamen Mensch-Sein zu spüren. Das Bedürfnis zu kontern und verbal zurückzuschiessen, wird minimiert und die Emotionen werden durch die Atemtechniken beruhigt und im Zaum gehalten. Man fällt nicht in die Rolle des verletzten Opfers, das sich wehren muss, hinein, sondern behält Distanz und Überblick. Man durchschaut die Bedürfnisse hinter den vordergründigen Aggressionen. Ein gutes Beispiel, dass sich diese Praxis bewährt, zeigt sich auch beim Historiker Daniele Ganser, der selbst dann ruhig, sachlich und integer reagiert, wenn er als Verschwörungstheoretiker diffamiert und unsachlich angegriffen wird.

Wir alle können mit der Achtsamkeitspraxis nur gewinnen, denn sie ist ein Weg zum Herzen und zur Ehrlichkeit und fördert den «Mut zur Verletzlichkeit». Dadurch werden, auf ungewohnte Art, neue Türen geöffnet. Begegnungen geschehen abseits von Konkurrenz und Rechthaben-Müssen und finden auf gleicher Augenhöhe statt. Ein wichtiger Schritt zu einem friedlichen Umgang ist gelegt.

 


Ausblick: Im dritten Teil dieser Serie geht es darum aufzuzeigen, was wir von anderen Kulturen lernen können, um unsere Friedfertigkeit zu stärken.

 

Bisher erschienen:
Teil 1: Frieden lernen