«Die Abhängigkeit von Pestiziden beruht auf einer jahrzehntelangen Hirnwäsche»
Im sechsten Teil unserer Pestizid-Serie kommentiert Franziska Herren, Initiantin der Trinkwasser-Initiative, die widersprüchliche Haltung des Bundes. Dieser lehnt zwar beide Agrarinitiativen strikt ab, betreibt aber einen nicht unbeachtlichen Aufwand, um neue Trinkwasserquellen zu erschliessen – weil die bestehenden teilweise erheblich mit Pestiziden belastet sind.
Anfang Mai wurde bekannt, dass der Bund mit «einem bisher unbekannten Pilotprojekt» in Bern und Solothurn nach neuen Trinkwasserquellen sucht. Laut einem Bericht des Schweizer Fernsehens ist einer der Hauptgründe dafür die zunehmende Belastung des Grundwassers durch Pestizide – wobei «Belastung» nichts Anderes bedeutet als Vergiftung.
Das Mittelland ist besonders stark betroffen von der Pestizid-Krise – fast in allen Trinkwasserfassungen findet man Rückstände von Chlorothalonil, zum Teil wird der erlaubte Höchstwert um ein Mehrfaches überschritten. In mindestens zwölf Kantonen dürften die entsprechenden Grenzwerte überschritten werden. In Bern ist die Trinkwasserversorgung von 178'000 Menschen betroffen, in Solothurn sind es 160'000 und in Schaffhausen 20'000. Gesamtschweizerisch trinken über eine Million Menschen Wasser, dessen Pestizidbelastung die Grenzwerte überschreitet.
Auch die Berner Gemeinde Köniz hat mit Chlorothalonil-Problemen zu kämpfen: In drei von vier Wasserfassungen und zwei Wasserreservoirs wird der zulässige Höchstwert überschritten, und zwar zum Teil deutlich, wie der Bund Ende April berichtete. Die Quellwasserfassung Gummersloch habe die Gemeinde aus diesem Grund vom Netz genommen, und die Quellwasserfassung Margel werde mit Aaregrundwasser verdünnt. Angesichts dessen, dass der Bundesrat die Ablehnung der Trinkwasser-Initiative und der Pestizid-Initiative empfiehlt und stets betont, dass die aktuellen Werte nicht gesundheitsschädlich seien, mutet dies alles ziemlich eigenartig an – um nicht zu sagen alarmierend.
Der grosse Aufwand, der für die Suche nach neuen Wasserquellen betrieben wird, schürt noch die Zweifel daran, dass die Wasserqualität tatsächlich so unbedenklich ist, wie dies behauptet wird. Mit den heutigen Möglichkeiten könne das Problem nicht gelöst werden, schrieb das Solothurner Amt für Umwelt gemäss SRF im Januar. Es brauche neue Wasserleitungen, neue Wasserfassungen oder sogar Wasseraufbereitungsanlagen. Dies sei aber enorm teuer und nicht rasch zu realisieren. Die Suche nach Lösungen sei sehr anspruchsvoll, weil nach wie vor viele Bauern Pestizide einsetzten. So will der Bund in seinem Pilotprojekt auch auf Wasservorkommen aus Kalkgesteinsschichten im Jura zurückgreifen, wo es «kaum menschliche Einflüsse» gibt.
«Die Haltung des Bundes ist so absurd, dass es mir manchmal fast die Sprache verschlägt», sagt die Initiantin der Trinkwasser-Initiative, Franziska Herren. «Wir bohren nach frischem Wasser, statt über einen Systemwechsel nachzudenken, der der Vergiftung unserer Ressourcen einen Riegel vorschieben würde. Doch die jahrzehntelange Hirnwäsche wirkt immer noch, und nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch viele Bäuerinnen und Bauern sind davon überzeugt, dass wir uns ohne Pestizide nicht ernähren können.» Wie damals beim Atomstrom: 40 Jahre lang wurde gedroht, dass ohne das Kraftwerk Mühleberg das Licht ausgehen würde, doch selbstverständlich ist das Gegenteil passiert. Heute investiert man ernsthaft in Alternativen. Dies wäre auch in der Landwirtschaft bitter nötig – und realistisch, wie Herren betont: «Internationale Studien zeigen, dass sich mit ökologischen Mischkulturen und moderner Technik höhere Erträge erzielen lassen als mit pestizidabhängigen Monokulturen.»
Doch dem Bund liegt offenbar mehr an der Förderung der Wirtschaft und an der Unterstützung der grossen Konzerne, welche Pestizide und andere Agrarchemikalien herstellen und damit einen Haufen Geld verdienen. Und so werden die Ängste der Stimmbevölkerung geschürt, dass mit einer Annahme der beiden Initiativen die Ernährungssicherheit der Schweiz in Gefahr wäre und mehr importiert werden müsste. Allerdings landet in der Schweiz ein Drittel aller Lebensmittel im Food Waste. «Würden wir dies reduzieren, wären wir schon heute viel weniger vom Ausland abhängig», betont Herren. «Ich bin jedenfalls gespannt, was am 13. Juni höher gewichtet wird: unsere Gesundheit oder der Einsatz von giftigen Pestiziden.»
In dieser Serie bereits erschienen:
Wir wissen nicht, was wir essen
Der Einsatz von giftigen Substanzen geht mir emotional gegen den Strich
In Zukunft wird man kopfschüttelnd zurückblicken
Der Mensch als Pestizid-Endlager
Kinder spielen mit leeren Giftkanistern
von:
Kommentare
Nein.......
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Schadstoffmessungen.....
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