Bei Christoph Brand raucht der Colt

«Wir haben nicht spekuliert», behauptet der Axpo-Chef. In einem Beitrag in der Weltwoche bestätigt er das Gegenteil.

Christoph Brand, CEO der Axpo (Bild: Axpo)

Man mag es auch nach der Debatte in den Eidg. Räten immer noch nicht wahrhaben, dass die Axpo wegen sicherer Stromgeschäfte an der Börse einen staatlichen Rettungsschirm von vier Milliarden braucht.

Als ich kürzlich mit Alena Weibel, Head of Corporate Communications & Public Affairs der Axpo über die Vermutung sprach, der Konzern hätte sich mit Strom verspekuliert, den sie gar nicht selber herstellt, verneinte sie dies mehrfach. Ich konnte es nicht glauben.

Jetzt bestätigt Axpo-CEO Christoph Brand den Verdacht in einem etwas unvorsichtigen Text in der Weltwoche. In der Rubrik «Tagebuch» darf und soll man plaudern, und das tut Brand ausführlich.

«Wir haben nicht spekuliert, sondern konservativ abgesichert», schreibt Brand. «Wir sichern unsere Schweizer Stromproduktion seit vielen Jahren vorsichtig ab, damit wir gegen Preiszerfälle geschützt sind.»
Damit man diese «Absicherung» versteht, muss man das Geschäft mit selber produziertem Strom verstehen.

Die Axpo weiss in etwa, wieviel Strom zu welchen Kosten sie in in der Zukunft produziert – abzüglich einer Risikomarge für Wetterkapriolen und technische Zwischenfälle. Diesen Strom verkauft sie über Terminkontrakte zu Preisen, die mindestens etwas mehr als die Kosten decken.

Das Risiko des Geschäfts mit eigenem Strom tendiert gegen Null, grössere Kraftwerksschäden ausgenommen. Der Kunde muss bezahlen, bzw. die Differenz zum Marktpreis an der Börse hinterlegen. Liegt der Marktpreis über dem vereinbarten Preis, muss der Lieferant seinerseits die Differenz hinterlegen, damit er nicht zu einem höheren Preis an einen anderen verkauft und den ursprünglichen Kunden im Regen stehen lässt.

Diese Sicherheiten fliessen nach Abschluss des Vertrags wieder zurück. Das Geschäft ist risikolos, selbst wenn es um grosse Summen geht und die Börse verrückte Sprünge macht wie jetzt.

Es gibt aber ein ganz anderes «Risiko»: Mit solchen an der Vorhersehbarkeit und der Versorgungssicherheit orientierten Verträgen lässt sich in einer Zukunft mit steigenden Preisen nicht so viel Gewinn zu machen, wie es dannzumal möglich wäre. Last-minute, bzw. ein Deal am Spotmarkt wäre vielleicht profitabler.

Auch gegen dieses «Risiko» kann man sich an den Finanzmärkten mit Derivaten absichern. Aber diese Papiere sind mit demselben, nur spiegelverkehrten Risiko behaftet, gegen das sie als Sicherheit dienen. Und man kann sie kaufen und mit ihnen handeln, auch wenn man gar kein Risiko trägt, sondern einfach nur ein Geschäft machen will. Je nach Entwicklung des Marktes, multipliziert sich dieses Risiko und schlägt auf die Preise durch, wie jetzt geschehen.

Der Verdacht liegt auf der Hand, dass sich die Axpo mit solchen Papieren verspekuliert hat und Risiken eingegangen ist, die nun von keiner Bank mehr gedeckt und vom Steuerzahler getragen werden müssen. Vermutlich ist die Axpo die Verpflichtung eingegangen, in der Zukunft Strom günstig zu verkaufen, den sie gar nicht produzieren kann und den sie erst noch zu viel höheren Preisen einkaufen muss – ein Papierstromgeschäft mit realen finanziellen Verpflichtungen.

«Demut ist angezeigt», schreibt Christoph Brand im «Tagebuch» in der Weltwoche. Demut, weil trotz milliardenschwerem Liquiditätspolster und einem «sehr ausgefeilten Risiko- und Liquiditätsmanagement» eine «sehr erfolgreiche Absicherungsstrategie» innert kurzer Zeit zur Hypothek werden konnte.

Aber ein Geschäft mit Eigenstrom, der auf Termin gewinnbringend verkauft wird, braucht kein ausgefeiltes Risikomanagement. Man muss einfach auf den Tag X der Lieferung warten und kassieren.

Demut wäre auch im Umgang mit der Wahrheit angezeigt. Wenn Brand schreibt, die «primär kriegsbedingte, historisch einmalige Preisexplosion» hätte nun zum Liquiditätsengpass geführt, dann ist das eine billige Rechtfertigung, die nicht durch die Tatsachen gestützt wird.

Der Erdgaspreis ist in den letzten zwölf Monaten um 67 Prozent gestiegen, überwiegend aus Kriegsgründen. Es ist unmöglich, dass eine solche Preissteigerung zu Strompreiserhöhungen von bis zu 1000 Prozent führt, zumal der Anteil des Erdgases an der europäischen Stromproduktion 2021 nur 17,9 Prozent betrug.

Quelle

 

Viel wahrscheinlicher ist, dass es die Börsen waren, die zur Explosion der Preise und der Gewinne einzelner Energiefirmen geführt haben. An diesen Börsen agieren die Energiekonzerne wie die zahlreichen anderen Finanzakteure auch, die mit viel Kapital oder grossem Hebel mit Papiergas und Papierstrom handeln und bei starken Ausschlägen enorme Gewinne – oder Verluste – einfahren. Wie anders ist es zu erklären, dass die EU diese Übergewinne jetzt im Umfang von 140 Mrd. Euro abschöpfen will?

Die Gewinne der Einen sind die Verluste der Andern. Wenn die Behauptung der Axpo zutrifft, dass die jetzt benötigten Sicherheiten wieder zurückfliessen, dann würden die Banken dieses Risiko noch so gerne übernehmen. Dann gäbe es aber auch nichts abzuschöpfen.

Die Energiekrise ist nur am Rande eine temporäre Liquiditätskrise, sondern ein Marktversagen erster Ordnung für das einmal mehr der Steuerzahler gerade stehen soll, getreu dem Motto «Sozialismus für die Reichen, Kapitalismus für die Armen».

Wo steckt Christoph Brands rauchender Colt? Er kennt natürlich den feinen Unterschied zwischen Spekulation und Absicherung. Deshalb vernebelt er ihn. Wie unbedeutend der Unterschied jedoch ist, haben wir in der Finanzkrise erfahren, als das Kartenhaus der kompliziert abgesicherten Hypthekenpapiere und der Kreditversicherungen (gerne auch auf Kredite, die man gar nicht hält) zusammenbrach.

Christoph Brand weiss das, und er hat sich verplappert. Da hilft es jetzt nicht mehr, dass er in seinem Tagebuch Karl Popper erwähnt, der ihn daran erinnere, selbstkritisch zu sein. Diese Selbstkritik wäre vor der Tat nötig gewesen. Hinterher wirkt sie höchsten strafmildernd.