Für Ein-, nicht für Aussteiger
Eine kleine freie Republik mit Gleichgesinnten – davon träumen wieder mehr Menschen. Eine halbe Autostunde von der Schweizer Grenze entfernt wird sie seit bald 40 Jahren erträumt. Realität wird sie allerdings bislang nur während der Ferienzeit. Ist jetzt der Zeitpunkt, zur Sache zu kommen?
Wenn man auf den Hof von Peter Wyssling in Sancey le Grand in der Franche Comté zufährt, weiss man zunächst nicht, was man vor sich hat: Einen mächtigen Bauernhof mit Kühen und Pferden, ein Feriendörfchen mit einem Dutzend eigenwilliger Holzhäuschen, ein Lager landwirtschaftlicher Maschinen oder ein Natur-Camping, eingebettet in eine parkartige Landschaft mit Hecken und Baumgruppen? Die Antwort: alles in einem.
Angefangen hat es vor 39 Jahren, als der Kulturingenieur Peter Wyssling, im Herzen ein Herrschaftsfreier, ein «konstruktiver Anarchist», ein unabhängiges Leben auf dem Land verwirklichen wollte. Er erwarb ein abgelegenes Gehöft Hof mit 45 Hektar Wald und Wiesland und begann mit Milchwirtschaft. Damit etwas mehr in der notorisch etwas knappen Kasse blieb, verarbeitete er die Milch zu Käse, den er über den Biohandel und auf Märkten in der Schweiz verkaufte.
Im Nebenamt kaufte er auch landwirtschaftliche Geräte, die in der Schweiz früher ausser Betrieb genommen wurden als in Frankreich und verkaufte sie den Bauern in der Umgebung. Und als Allrounder entstanden unter seinen geschickten Händen und mit Hilfe von Freunden eine Reihe origineller Häuschen, in denen sich während der Sommermonate der Traum des einfachen Lebens leben liess. Und weil es so schön war, kamen mehr Leute als Betten in den Häuschen zur Verfügung standen und so entstand ein Naturcamping.
Der Hof und die parkartige Umgebung sind ein Paradies für Kinder und deshalb auch für ihre Eltern. So fliesst das Leben in den Sommermonaten jeweils in angeregter Ruhe vor sich hin. Wenn nur die Zeit nicht wäre und sich Peter Wyssling mit seinen 67 Jahren nicht ernsthafte Gedanken machen müsste über die Zukunft seiner halbfertigen freien Republik, die im Grunde immer noch sein Mal-Atelier ist, oder auch sein Königreich.
Wichtige Fragen rufen nach einer Antwort: Wohin soll die Landwirtschaft? Wären Schafe oder Lamas nicht bessere Landschaftspfleger als Kühe, deren Milch in Frankreich noch 30 Cents pro Liter bringt und die eine Menge Mist und Gülle hinterlassen, nicht gerade der Geschmack von Urlaub und Schönheit. Einige Häuschen brauchen Unterhalt – ein Eldorado für Allrounder? Könnte man nicht die Dienstleistungen kulinarisch erweitern, anstatt die Gäste ins fünf Kilometer entfernte Dorf zum Einkauf oder zum Essen in den Restaurants zu schicken? Rechnet es sich, das enorme Bauvolumen vielseitiger und ganzjährig nutzbar zu machen, als Wohnraum oder Werkstätten, für Retraiten oder Anlässe?
Vor allem aber: Wie organisiert Peter Wyssling sein Projekt, damit jüngere Menschen Perspektiven entwickeln, ihr eigenes Ding machen und wirklich teilhaben können? Nicht für ein paar Monate wie bisher, sondern mindestens für ein paar Jahre. Wie wird aus dem kleinen Reich, in dem der Meister die Menschen grosszügig gewähren liess eine Gemeinschaft von Gleichberechtigten?
«Es will doch niemand nach Frankreich», sagte Peter bei meinem kürzlichen Besuch. Ja, das zentralistische Frankreich wirkt nicht gerade einladend. Aber das Land ist gross und bietet viel Freiraum. Und viele Menschen sind bereit zu einem Aufbruch. Sie wollen nicht einfach aussteigen, sondern etwas Neues beginnen. Sie brauchen eine «Republik», in der sie können und dürfen, nicht müssen. Sie wollen einsteigen in die neue Zeit, die sich gerade bereit macht.
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Die Website juraferien.ch bietet einen guten Überblick über das touristische Angebot des Hofes. Die Preise für die Häuschen und Wohnungen liegen je nach Bettenzahl zwischen 40 und 90 Euro pro Nacht.
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