«Ich möchte das bessere Reisen als sinnorientiertes Reisen verstehen»

Der Reisephilosoph Peter Vollbrecht rät Touristikern zu Kurskorrektur: Weltweite Krisen erfordern neues Design des Reisens, und zwar entschleunigt und ressourcenschonend.

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Klimawandel, Pandemie, hohe Inflation und der Krieg in der Ukraine zwingen dem weltweiten Reisegeschehen eine Kurskorrektur auf, die in ihren Auswirkungen noch gar nicht absehbar ist. Damit Reisende aber auch künftig ihre Sehnsüchte ausleben können, muss radikal umgedacht werden. «Ein Weiterso wie bisher wäre ignorant, fatal und verantwortungslos», erklärte der Spezialist für literarische und philosophische Reisen, Peter Vollbrecht, bei den Europäischen Toleranzgesprächen im Kärntner Bergdorf Fresach in Deutschland.

«Es ist zu erwarten, dass uns das Reisen in Zukunft durch eine ganze Reihe von Krisen versalzen wird», stellte Vollbrecht gleich zu Beginn seines Impulsvortrags zum Thema «Sehnsuchtsland: Wie wir besser anders reisen» klar. Aktuell seien vier solcher konkreten Besorgnisse auszumachen. «Erstens leben wir in einem Klimawandel und einem Artensterben von unbekanntem und hochdramatischem Ausmass», erläuterte der Philosoph. Selbst vorsichtige Schätzungen würden mit der Aussicht schockieren, dass grössere Bereiche des Planeten unbewohnbar werden. «Die Verknappung von Lebensmitteln wird die sozialen Schieflagen deutlich verschärfen. Das wird vor allem Auswirkungen auf Fernreisen haben», gab er sich überzeugt.

«Die Ressourcenknappheit ist nun auch schon in den reichen Industriestaaten zu spüren.»

Zweitens lebe die Menschheit in einem pandemischen Zeitalter. «Mit neuen Versicherungs- und Buchungskonditionen hat die touristische Infrastruktur zwar auf die Verunsicherung der Kunden reagiert. Dennoch scheinen mir die längerfristigen Auswirkungen der Pandemie auf den vulnerablen Tourismussektor derzeit noch gar nicht absehbar», meinte der Autor. Auch bei der Versorgungslage gibt es eine Zeitenwende. «Die Ressourcenknappheit ist nun auch schon in den reichen Industriestaaten zu spüren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Weltwirtschaft eine längere Phase der Stagnation erlebt, durch die vor allem der Mittelstand und die unteren Schichten empfindliche Einbussen an Wohlstand hinnehmen müssen. Dem Tourismus gehen dabei wichtige Kerngruppen verloren», erläuterte Vollbrecht.

Als letzten Punkt verwies er auf den zunehmenden Militarismus in der Welt. «Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wirtschaftsleistung wird im militärischen Sektor versenkt und steht als Wohlstand nicht mehr zur Verfügung. Ob die Lust am Reisen in einem Zustand eines permanenten Angstszenarios noch die Dynamik aufweisen kann wie zuvor, wird die Zukunft zeigen», führte Vollbrecht aus. Es sei zwar möglich, dass die Menschen vermehrt ausschwärmen, um die dunklen Zukunftserwartungen im All-Inclusive-Pool zu verscheuchen. «Denkbar ist aber auch, dass es genau umgekehrt kommt und sie sich in nahe Welten zurückziehen.»

Eine umfassende Sicht auf die künftigen Reiseszenarien lässt sich laut Vollbrecht angesichts der vielen Variablen nicht geben. Fest stehe allerdings, dass es so etwas wie ein «Zukunfts-Design für besseres Reisen» braucht. «Ich möchte das bessere Reisen als sinnorientiertes Reisen verstehen», erklärte der Philosoph. Damit sei einerseits das Reisen als Erweiterung des eigenen Horizonts sowie der menschlichen Möglichkeiten generell gemeint, andererseits aber auch die interkulturelle Begegnung und das «Heimischwerden in der Welt». «Schon Goethe hat festgestellt, dass sich im Reisen das Individuum weitet, indem es sich die Welt aneignet, um dann gereift wieder bei sich selbst anzukommen.»

«Für mich heisst das, dass man ein erotisches Verhältnis zur Welt entwickeln muss.»

Um zu verdeutlichen, was er sich unter besserem Reisen vorstellt, nannte Vollbrecht fünf Punkte, quasi ein «Pentagramm des guten Reisens». Einer der Aspekt bezieht sich dabei auf die Geschwindigkeit des Reisens selbst. «Seelische Prozesse sind viel langsamer als es uns die Technik erlaubt, einen geografischen Ort zu wechseln. Entschleunigt reisen heisst, langsame Verkehrsmittel zu bevorzugen. Es heisst aber auch, mehrere Tage am selben Ort zu verweilen und ihn im Rhythmus des dortigen Lebens zu erfahren. Erst wenn wir einen Ort wiederholt besuchen, sind wir wirklich dort gewesen», so Vollbrecht. Ein weiterer Aspekt betitelte er mit «weltliebend reisen», was er dadurch charakterisierte, dass beispielsweise die Schönheit der Natur auf Reisen nicht nur betrachtet, sondern gefeiert wird. «Für mich heisst das, dass man ein erotisches Verhältnis zur Welt entwickeln muss. Man muss an ihren Linien, Formen und Farben entlangstreifen, die mentalen Welten der Menschen lesen und in ihren Gesichtszügen und Körperhaltungen ihre Ängste und Hoffnungen entziffern.»

Wichtig sieht er auch das ressourcenschonende Reisen, um einen weiteren Punkt zu nennen. «Es gilt mit eigenem Beispiel voranzugehen und Reiseanbieter dahingehend auszuwählen, welchen ökologischen Standards sie sich verpflichtet fühlen», so Vollbrecht. Man müsse sich nur selbst fragen, ob etwa eine Antarktis-Kreuzfahrt wirklich im Interesse der Natur liegen kann. «Ich denke, man kommt dann schnell zu dem Schluss, dass sie zwar persönlich einzigartige Erlebnisse gewährt, dass ich aber kaum in der Lage sein werde, meine subjektive Bereicherung wieder produktiv zurück in die Welt zu tragen.»