Organische Ökonomie und der Stein der Weisen

Die Ökonomie, die wir in der Natur erkennen können, ist in ihrer Effizienz und Nachhaltigkeit unübertroffen. In der Fruchtbarkeit des Bodens, im Humus, finden wir den Stein der Weisen, den Kohlenstoff.

© Foto: Andreas Beers

Wir benutzen immer wieder das gleiche alte Werkzeug für die inzwischen festsitzenden Problemschrauben unserer Zeit. Das ökonomische Narrativ des endlosen Wachstums ist immer noch tief verwurzelt im Denken unserer Zeit. Das Wesensmerkmal dieses ökonomischen Denkens ist unser menschlicher Egoismus. Er ist in der organischen Ökonomie der Natur nicht zu finden. Können wir auch anders? Ja, wir können und konnten dies. Der Mensch lebte über Jahrtausende im Einklang mit der weisheitsvollen Ökonomie der Natur. Wir haben dies scheinbar aus unserem historischen Bewusstsein vollständig gestrichen. Es wird Zeit, wieder daran anzuknüpfen.

Vor rund 12´000 Jahren begann die neolithische Revolution. Sie fiel mit dem Ende der letzten Eiszeit und dem Beginn des aktuellen erdgeschichtlichen Zeitabschnitts zusammen, dem Holozän. Es war ein Zeitpunkt des Umbruchs in der menschlichen Geschichte, der für immer veränderte, wie wir leben, essen und interagieren. Die neolithische Revolution ebnete den Weg für unsere moderne Gesellschaft. In der neolithischen Revolution kam erstmals die erzeugende Kulturlandwirtschaft, die Vorratshaltung und Sesshaftwerdung in der Geschichte der Menschheit auf.

Als industrielle Revolution wird die tiefgreifende und dauerhafte Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände bezeichnet. Sie begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem im 19. Jahrhundert in Westeuropa und den USA. Seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in anderen Teilen Europas sowie in Asien. Sie bildet den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft.

Die industrielle Revolution nutzte die menschliche Arbeitskraft fast zweihundert Jahre als Kapital. Sie spaltete die Gesellschaft in kapitalistische Unternehmer und lohnabhängige Proletarier. Bis zum heutigen Tag beschert sie uns auf der einen Seite Fortschritt und Wohlstand mit all seinen kuriosen Auswüchsen, auf der anderen Seite Hungersnöte, Landflucht, Umweltverschmutzung und Rohstoffkriege. Die Wenigen, die daraus bis heute gigantisches Kapital geschlagen haben, nutzen dies zur Gestaltung ihrer Zukunftsvisionen. Ich nenne sie bewusst und ironisch die Schlaumeier.

Die digitale Revolution ist für den amerikanischen Soziologen Jeremy Rifkin die dritte industrielle Revolution: «Sie wird unsere Welt komplett umkrempeln.» Seit 2008 erleben wir die offensichtlichen Folgen oder besser gesagt den Anfang vom Ende dieser dritten Revolution, den Schrittweisen Kollaps. Es ist der folgerichtige und zugleich folgenschwere letzte Akt dieser Ära. Der russisch-amerikanische Autor Dimitry Orlov beschreibt dies in seinem 2020 erschienen Buch «Die Lehre vom Kollaps» in fünf Stufen: finanzieller-, kommerzieller-, politischer-, sozialer- und kultureller Zusammenbruch.

Meistern wir das Digitale oder sind wir seine Sklaven? Es ist unsere Entscheidung!»

The Great Reset so nennen nun die Schlaumeier, die vierte Revolution. Mit den Worten der amerikanischen Ökonomin und Sozialpsychologin Shoshana Zuboff: «Es ist das Zeitalter der uneingeschränkten Informationsflut, die ökonomischen, sozialen und individuellen Umwälzungen sind beispiellos. Wir haben Märkte, auf denen Menschen nur noch Quellen eines kostenlosen Rohstoffs sind – Lieferanten von Verhaltensdaten. Meistern wir das Digitale oder sind wir seine Sklaven? Es ist unsere Entscheidung!».

Und sie haben recht diese Schlaumeier, denn so geht es wirklich nicht weiter. Denn wenn alle Menschen auf der Erde so leben wollen wie sie, dann reicht unsere Erde wirklich nicht aus: Sie zeigen uns nicht nur, dass die Menschheit schlecht und unfähig zum Wandel ist, auch dass sie die Erde in eine Klimakatastrophe führt. Zu guter Letzt, dass sie auch genetisch bedingt eine Fehlkonstruktion ist, sozusagen eine sich selbst zerstörende Virenschleuder. Wir – so nennen sich die wenigen Schlaumeier – müssen etwas dagegen unternehmen und die Anderen zum Guten führen. Leider machen sie dabei einen gravierenden Denkfehler: Sie haben den Egoismus in ihrer Digital-Ökonomischen-Gleichung nicht erkannt. Denn, wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.

Was soll also der Rest, also wir anderen tun? Wir sollten grundsätzlich alle Bereiche welche lebensnotwendig sind, also insbesondere Landwirtschaft und Realwirtschaft, nach den Prinzipien der Organischen Ökonomie der Natur gestalten. Diese beruhen auf den Gesetzen der dynamischen Lebenskrafterhaltung und des organischen Stoffkreislaufes. Was ist das? Schaut raus in die Natur: Von allem nur so viel wie es die Lebensnotwendigkeit erfordert; alles was erzeugt wird, muss im Stoffkreislauf der Natur unschädlich rezykliert werden können; Vernetzung nicht Konkurrenz; Vielfalt nicht Gleichheit; Liebe nicht Egoismus. Das ist was die Natur uns zeigt.

Der Kohlenstoffkreislauf in der Natur als Vorbild: Die Fruchtbarkeit des Bodens ist die Grundlage für eine gesunde Pflanzen- und Tierwelt. Diese schützt wiederum unsere wichtigste Lebensgrundlage, nämlich Luft, Wasser und Erde, sprich Nahrungsmittel und Rohstoffe. Der Humus und das Geheimnis des Kohlenstoffs in ihm sind sozusagen der Stein der Weisen.

Im Grafit und Diamant erstarrt der Kohlenstoff. Im Torf konserviert er Lebenswärme. Im Humus ist er Gerüst der beständigen Lebendigkeit. Durch die Photosynthese in der Pflanze wird er mit Hilfe von Licht zum Gestalter aller organischen Verbindungen. Es werden dabei primär Kohlenhydrate aus energiearmen anorganischen Stoffen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) und Wasser (H2O) verwendet. Der freiwerdende Sauerstoff wird dabei von der Pflanze ausgeatmet für Mensch und Tier.

Das digitale Geld ist keine Lösung dafür, es macht das Übel nur noch unsichtbarer.

Wir sollten den Kohlenstoff, wie er in der Natur wirkt, als Beispiel nehmen für die Auflösung des Grundübels unserer Wirtschaft. Das von der Realwirtschaft unabhängig wuchernde Geld mit der gängigen Verzinsung ist das Grundübel! Das digitale Geld ist also keine Lösung, sondern macht das Übel nur noch unsichtbarer. Der Kohlenstoffprozess im Naturhaushalt wäre also das konkrete Vorbild für eine Organischen Ökonomie der Zukunft.

Kurzum: Die Bank der Zukunft würde funktionieren wie eine Pflanze. Sie müsste bestrebt sein, das Geld niemals anzuhäufen, sondern es stets in Zirkulation zu halten, wie es der Kohlenstoff – der Stein der Weisen – uns in der Natur vormacht. Das Geld verwandelt sich dadurch fortwährend mit Hilfe unseres Verstandeslichts, analog dem Sonnenlicht, in kreative menschliche Arbeit. Es entsteht daraus, was wir zum Leben wirklich brauchen, nämlich nachhaltige Realwirtschaft und fruchtbare Kulturlandwirtschaft.

 

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät, pflanzt und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen. Kontakt: [email protected].

«Geld ist wie Mist: nur wenn es richtig verteilt ist im Lebendigen, sich stets in Kulturleistung und menschliche Kreativität verwandelt, wirkt es fruchtbar». (Andreas Beers)