Ein Debattenbeitrag aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.

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In den frühen Morgenstunden am letzten Sonntag hat ein 28-jähriger Schweizer – so stand es in der Zeitung – vor der Zeughausbar in Uster einen anderen jungen Schweizer erstochen. Wenige Wochen vorher wurde nur wenige Dörfer entfernt, in Oetwil am See, und ebenfalls in der Samstagnacht, ein 17-jähriger Portugiese erstochen. Ein Streit innerhalb einer Gruppe war ausgeartet und verschob sich nach draussen, und als die Polizei eintraf, lagen bereits mehrere verletzte Personen am Boden: ein 19-jähriger Schweizer, leicht verletzt, ein anderer junger Schweizer schwer verletzt, ein Serbe, 24-jährig, ebenfalls schwer verletzt und – traurig genug – der 17-jährige Portugiese, der Jüngste, so schwer verletzt, dass er kurze Zeit später an seinen Stichwunden starb. Zwei ebenfalls beteiligte Schweizer im Alter von 19 und 24 Jahren, die unverletzt blieben, wurden vorläufig festgenommen.

Wenn man liest, woher ein Teil der Beteiligten kommt, dann liegt die Vermutung nahe: Das war eine Auseinandersetzung mit Migrationshintergrund. Die erwähnten Schweizer unter den jungen Männern – wir können es mit ziemlicher Sicherheit annehmen, ohne sie diskriminieren zu wollen – besitzen zwar einen Schweizer Pass, aber auch sie haben höchstwahrscheinlich ausländische Wurzeln. Sie unterscheiden sich nur durch den Pass von ihren immer noch ausländischen Kollegen. Trotzdem, wie wir alle wissen, werden sie in den Medien als «Schweizer» bezeichnet.

An demselben Wochenende, in den ersten Stunden des Samstags, schlug eine Gruppe von jungen Männern in Zürich-Oerlikon einen Studenten spitalreif. Die Polizei nahm mehrere Tatverdächtige fest – und auch dort: Schweizer Staatsangehörige, so hiess es in der Meldung, im Alter zwischen 16 und 17 Jahren, hätten der Jugendgang angehört. Auch hier handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um Jugendliche mit Migrationshintergrund – und dasselbe dürfen wir ohne viel Phantasie vom Gewaltverbrechen vor ein paar Tagen in Uster behaupten. Aber weil diese Täter und Opfer alle das Schweizer Bürgerrecht haben, müssen sie offiziell als Schweizer bezeichnet werden.

Natürlich geraten auch junge Schweizer ohne Migrationshintergrund, mit ausschliesslich Schweizer Wurzeln, in Raufereien; natürlich wollen auch manche von ihnen Streitigkeiten mit Fäusten lösen. Aber diese zunehmenden Gewaltexzesse an Wochenenden – das ist uns allen im Grunde bewusst, wenn wir ehrlich sind – werden hauptsächlich ausgelöst von jungen Migranten, von jungen Männern, die in der Schweiz nicht klarkommen, ihrer Wurzeln beraubt, der westlichen Sittenlosigkeit ausgeliefert, haltlos in der Agglo-Schweiz unterwegs, und ohne Verständnis für eine Welt, in der die Frauen den Männern gleichgestellt sind. Da liegt es nahe, dass sie schneller zum Messer greifen als Schweizer mit Schweizer Wurzeln.

Und genau deshalb stört es mich, und es stört mich schon lange, dass ein Pass genügt, um Schweizer zu sein. Selbstverständlich begrüsse ich es, dass Migrantenkinder die Möglichkeit haben, bei uns eingebürgert und heimisch zu werden. Aber für mich ist jemand, der das Dokument mit dem Schweizerkreuz in der Tasche hat, noch lange kein Schweizer.

Für mich ist ein Schweizer ein Mensch mit schweizerischer Mentalität, mit einer gewissen schweizerischen Zurückhaltung, mit Liebe zur Heimat. Für mich hat der Begriff Schweizer mit einer Haltung zu tun, mit einer Einstellung, die uns Schweizer auszeichnet. Konsequenterweise müssten deshalb auch wir uns der Frage stellen: Verdienen wir es, Schweizer genannt zu werden?

Dieser Text erschien im Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt - Gedanken, Beobachtungen, Geschichten - täglich von Montag bis Freitag auf Spotify, iTunes oder auf der Website des Autors www.dieluftpost.ch

Aktuell: Lesung in Winterthur am 3. Dezember
«DER KAMPF MIT DEM CHRISTBAUM»
Adventgeschichten & Christmas Carols mit Nicolas Lindt und Peter Glanzmann,
 dem virtuosen Gitarristen von «Les Sauterelles». Anschliessend Veganes Buffet – Kollekte am Schluss

Sa 3. Dezember 17h – Yogazentrum Ganapati
, Tösstalstrasse 16, 8400 Winterthur

Platzzahl beschränkt. Anmeldung per SMS an Monika Akeret, tofulino 079 275 01 07