Franziska Herren hat sich 2021 stark exponiert, um die Trinkwasser-Initiative durchzubringen. Sie musste viel einstecken, denn die Gegner wehrten sich nicht nur mit Argumenten, sondern auch mit persönlichen Angriffen. Jetzt plant sie – zusammen mit Verbündeten – eine neue Initiative.

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Zeitpunkt: Vor eineinhalb Jahren wurde die Trinkwasser-Initiative vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt. Sie machen aber weiterhin Kampagnenarbeit. Warum ist die Thematik so zentral?

Franziska Herren: Nach der Abstimmung haben wir die Situation analysiert und überlegt, wie wir weiterfahren. Die Tatsache, dass die Initiative so stark bekämpft wurde, hat uns gezeigt, dass wir voll ins Schwarze getroffen haben, als wir die Missstände in der Landwirtschaft aufgezeigt haben. Hinter den Gegnern der Trinkwasser-Initiative sowie auch der Pestizid-Initiative standen die Pestizidindustrie sowie auch die Fleischindustrie. Diese verdienen mit der industriellen Landwirtschaft viel Geld, welche von Futtermittelimporten, Pestiziden und Kunstdünger abhängt. Die Industrie hat eine sehr grosse Reichweite und fährt seit Jahrzehnten Kampagnen, die von vielen gar nicht mehr hinterfragt werden. Sehen Sie sich zum Beispiel die Werbungen für Milch, Fleisch oder Eier an: Da sieht man lauter grüne Wiesen, als ob diese Produkte aus ökologischem Anbau stammten, während in Wahrheit fünfzig Prozent aller Futtermittel importiert werden.

Wir haben in der Schweiz 15 Millionen Nutztiere – die können wir nicht selber ernähren. Doch sie brauchen nicht nur Futter, sondern auch Flächen und Wasser. Diese Ressourcen fallen weg für die Produktion von anderen Lebensmitteln, wie zum Beispiel Fleischersatzprodukte. Weltweit werden 80 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für die Tierproduktion genutzt, doch diese generieren nur elf Prozent der Kalorien für die Weltbevölkerung. Ineffizienter geht’s nicht.  Für die weltweite Ernährungssicherheit und ein gesundes Klima braucht es eine höhere Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln. Damit könnte ein Vielfaches an Kalorien produziert und ein Vielfaches an Menschen ernährt werden. Zurzeit ist auf dem Markt ein klarer Trend für Fleischersatzprodukte zu beobachten – und die Schweiz ist in diesem Bereich Europameister. Doch hierzulande können die pflanzlichen Rohstoffe für diese Produkte kaum hergestellt werden. Dies ist zurückzuführen auf die intensive Subventionierung der Tierproduktion, die den Anbau von Futtermitteln auf Ackerflächen attraktiver macht als den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln.  

Inwiefern hängt diese Situation nur mit den Strategien der Industrie zusammen – müssten nicht auch die Politik regulierend eingreifen?

Ja. Aber die Schweizer Regierung hat im Abstimmungskampf der Trinkwasser-Initiative Versprechungen gemacht, die sie nachher nicht einhielt. Die Motion der FDP-Ständerätin Johanna Gapany, die im Dezember angenommen wurde, verlangte, die geplante Reduktion der Nährstoffüberschüsse um 20 Prozent bis 2030 wieder zu streichen. Doch diese Reduktion hatte der Bundesrat als Massnahme für sauberes Wasser versprochen, sozusagen als Alternative für die Trinkwasser-Initiative, welche angeblich zu strenge Vorschriften vorsah. Gapanys Motion wurde angenommen, so dass Gülle und Ammoniak aus der hoch subventionierten Tierproduktion weiter ungebremst und flächendeckend Böden, Wälder und Gewässer überdüngen, die Biodiversität zerstören, das Klima schädigen und überhöhte Nitratwerte im Trinkwasser verursachen. Die Gewässerschutzgesetze, die seit 25 Jahren bestehen, können auf diese Weise nicht eingehalten werden.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Wir planen eine neue Initiative, die im Frühling spruchreif werden wird. Diesmal haben wir uns mit anderen Organisationen zusammengetan. So können Kräfte gebündelt werden. Im letzten Sommer, der so heiss und trocken war, haben viele Bäuerinnen und Bauern gemerkt, dass die industrielle, von Pestiziden und Dünger abhängige Landwirtschaft kein Mittel gegen Dürre und Wassermangel ist. Dagegen können ökologische bewirtschaftete Böden viel Wasser speichern und so die Ernten sichern. Es war für viele ein Weckruf, dass auch in der Schweiz – im Wasserschloss Europas – das Wasser knapp werden kann. Wie der letzte Sommer zeigte,  kann das ganz schnell gehen, wenn es in einem Jahr zu wenig regnet und es im Winter wenig geschneit hat.

Für unsere Ernährungssicherheit muss die Umlenkung der Subventionen eine ökologische, klimabewusste, vermehrt pflanzliche Lebensmittelproduktion und eine darauf ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft angegangen werden. Nur so können die Gewässerschutzgesetze eingehalten und die Umwelt- und Klimaziele der Landwirtschaft erreicht werden. Und nur so kann die Auslandsabhängigkeit bei Lebensmitteln – die aktuell bei 50 Prozent liegt – vermindert werden, sowie die Ernährung und sauberes Trinkwasser für die Bevölkerung – auch in Krisensituationen wie Klimaextremen, Kriegen oder Pandemien – gesichert werden.