«Dieser Konflikt hat sich schon länger angebahnt»

Holland befindet sich im Ausnahmezustand. Schon seit mehreren Wochen protestieren Landwirtinnen und Landwirte landesweit, teilweise heftig: Autobahnen, Supermärkte, Häfen und sogar Grenzübergänge wurden blockiert, und Bauern haben dazu aufgerufen, «das ganze Land lahmzulegen». Grund dafür ist ein strikter Massnahmenplan der holländischen Regierung, um die Stickstoff-Emissionen zu senken. Doch der Plan ist zu wenig ausgereift, und die Zeit für die Umsetzung zu kurz, so Jetze Meilink, dessen Familie einen Kleinbauernbetrieb nahe der deutschen Grenze hat. Dem Zeitpunkt erzählt er, wie er die Situation vor Ort erlebt.

Die umgekehrt aufgehängte Flagge symbolisiert das Untergehen der Landwirtschaft. / © Jetze Meilink

Brennende Heuballen, Strassenblockaden, Transparente, auf denen von Krieg gesprochen wird, und Polizisten, die auf einen Jugendlichen schiessen – die Bilder aus Holland, die in den letzten Wochen durch die Medien gingen, lösten Erschrecken und Erstaunen aus. Doch nur von aussen: Jetze Meilink, der im kleinen Ort Anerveen im Süden des Landes lebt, sagt: «Dieser Konflikt hat sich schon länger angebahnt, und es ist eigentlich keine Überraschung, dass er jetzt eskaliert ist.» Die holländische Regierung habe Landwirtschaftsbetriebe jahrelang dazu ermutigt, zu expandieren und zu wachsen. Gleichzeitig sei aber die Sorge über die hohen Stickstoff-Emissionen auf Grund der Viehwirtschaft gestiegen, und es seien Gesetze zur Senkung verabschiedet worden.

«Jedoch wurde darauf geachtet, dass die Produktivität nicht entscheidend verringert werden musste», so Meilink. Seine Familie hat einen Kleinbetrieb mit wenigen Kühen und wäre von den Einschränkungen nicht betroffen. Doch das ist in den Niederlanden eine grosse Ausnahme. Die Regel sind Grossbetriebe mit hunderten von Tieren. Meilinks Nachbar zum Beispiel hat 120 Kühe und beteiligt sich aktiv an den Protesten. «Die Leute aus der Gegend hier fahren mit ihren Traktoren in die Stadt, um zu demonstrieren. Als Protestsymbol verwenden viele die holländische Flagge, die sie verkehrt herum aufhängen. Früher hat man dies bei Schiffen getan, wenn sie in Seenot waren. Auf diese Weise soll gezeigt werden: Die Landwirtschaft droht unterzugehen.»

Tatsächlich ist die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftssektor des Landes. Holland ist einer der weltweit grössten Exporteure von Agrar-Produkten. Laut der Welt wurden letztes Jahr Produkte im Wert von 105 Milliarden Euro exportiert. Insgesamt gibt es in Holland vier Millionen Rinder, zwölf Millionen Schweine und 100 Millionen Hühner. Ihr Kot, der als Düngemittel verwendet wird, enthält Stickstoff, der das Grundwasser belastet. Deshalb erhofft sich die Regierung durch die Massnahmen eine grosse Verringerung der Umwelt- und Klimabelastung.

Auslöser der Proteste war die Präsentation einer Landkarte, auf der verzeichnet ist, in welchen Regionen des Landes die Emissionen um wie viel Prozent gesenkt werden müssen. Christianne van der Wal, die holländischen Ministerin für Natur und Stickstoff, gab am 10. Juli bekannt, dass im Schnitt eine Senkung von 50 Prozent verlangt wird. In manchen Gebieten ist sogar eine Senkung von 70 bis 95 Prozent vorgesehen – und zwar bis 2030. «Das ist praktisch unmöglich», sagt Meilink, «beziehungsweise wird es sehr schwerwiegende Konsequenzen für viele Bauern haben.»  Rund ein Drittel der Viehwirtschaftsbetriebe müssten umsiedeln, den Betrieb aufgeben oder die Produktionsweise auf Bio umstellen – was nicht nur finanziell eine Herausforderung darstellt.

Um diese einschneidende Transformation der niederländischen Landwirtschaft zu finanzieren, hat die Regierung 24,3 Milliarden Euro gesprochen. Doch das Problem ist, dass kein transparenter Plan vorliegt, wofür diese Gelder genau verwendet werden sollen. Erst im Juli 2023 sollen die Strategien und konkreten Ziele für alle Regionen feststehen. Das ist eine lange Zeit der Unsicherheit. «Alle wissen, dass das Emissionsproblem angegangen werden muss», so Meilink. «Doch nicht auf diese Art und Weise. Die Regierung müsste in Dialog mit den Provinzen sowie mit den Bauern treten, um eine Lösung zu finden. Zurzeit fordern diese, das ganze Massnahmenpaket zu verwerfen. Da sie sehr geeint sind und auch die Lobby der Futtermittelproduzenten hinter sich haben, werden sie nicht so einfach nachgeben.» Dazu kommt, dass die politische Opposition das Vorgehen der Regierung ebenfalls kritisiert, wodurch sich die Protestierenden natürlich bestätigt und bestärkt fühlen.

«Der Ärger und die Zweifel sind gross. Einerseits fragen die Landwirte, warum ausschliesslich sie die Konsequenzen der nötigen Emissionssenkungen tragen müssen. Schliesslich ist die Landwirtschaft nicht der einzige Sektor, der für die Stickstoffwerte verantwortlich ist. Anderseits befinden wir uns aber auch in einer Immobilienkrise. Es gibt praktisch keinen Wohnraum, und die Preise schiessen immer mehr in die Höhe. Nun haben die Landwirte den Verdacht, dass sie über die Stickstoffmassnahmen gezwungen werden sollen, ihr Land zu verkaufen, damit dieses dann als Bauland genutzt werden kann.»

Die Proteste haben auch auf Deutschland übergegriffen. Einerseits aus Solidarität, anderseits aber auch aus der Befürchtung heraus, dass ähnliche Massnahmen drohen könnten. Denn es wurde bereits eine Verwaltungsvorschrift verabschiedet, die die Änderungen der Düngeverordnungen vorsieht.

Kommentare

Warum nicht überall gleichviel

von juerg.wyss
Ich als alter Schwarzmaler sehe das Problem nicht in der Menge Stickstoff, die reduziert werden soll. Ist das nicht ein Spiel der Fleischindustrie, die die kleinen Bauern ausbooten will? Ich bin überzeugt, ohne die Pläne der hölländischen Regierung zu kennen, dass die kleinsten Senkungen bei den Schweinen mit der Grössten Fleischfabrik sind. Der Wirtschaftskrieg findet in allen Sparten statt. Gross frisst klein und der Staat profitiert mit. aber er profitiert nicht nur, er verbündet sich mit den Grossen.