Fliegenschiss, aber oho
Vor sechs Jahren haben Bobby Langer und Alexander Baltosée die Plattform «Ökoligenta» ins Leben gerufen. Sie wollen Menschen und Initiativen vernetzen, um die sozial-ökologische Transformation in ihrer ganzen Breite aufzuzeigen. Statt in starre Ideale zu verfallen, verschiedene Ansätze aufzeigen, die sich wie bei einem Mosaik zu einem Gesamtbild zusammenfügen und inspirierend wirken. Deshalb hat Bobby Langer seine eigene Website auch zur «gurufreien Zone» deklariert.
Zeitpunkt: Bobby Langer, «Ökoligenta» steht ganz im Zeichen des Wandels. Wohin?
Bobby Langer: Ganz radikal weg von jeglicher Anthropozentrik, die aus allen Bereichen des Lebens verschwinden muss. Statt den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, möchten wir zur Biozentrik, ja mehr noch: zur Biophilie inspirieren und dazu, auf globalem Niveau Verantwortung für das zu übernehmen, was wir tun. Es reicht nicht aus, die Welt für die kommenden sieben Generationen zu bewahren, wie sie ist. Noch wichtiger als Nachhaltigkeit ist Regeneration. Wenn ein Tornado einen Wald verwüstet, wird in der kahlgeschlagenen Schneise zwanzig Jahre später eine noch grössere Biovielfalt bestehen als zuvor. Dieses Prinzip lässt sich auch auf die menschliche Kultur übertragen. Statt starren Idealen zu folgen, sollten wir Entwicklung als einen Prozess betrachten.
Inwiefern vernetzt «Ökoligenta» Menschen, die sich in diesem Sinn engagieren?
Wir haben wahrgenommen, dass es sehr viele Initiativen zum sozialökologischen Wandel gibt, in den verschiedensten Bereichen: Bildung, Landwirtschaft, Architektur, Kultur und so weiter. Doch es sind lauter kleine Bäche, die ins Tal rinnen, ohne sich zu einem Fluss zu vereinen, der wirklich eine Veränderung bewirken könnte. Auf unserer Website und in unserem Newsletter stellen wir deshalb Projekte und Initiativen vor, veröffentlichen Texte, Podcasts und Videos, weisen auf Veranstaltungen, Bücher und Publikationen hin. Unser Ziel ist es, auf der Plattform die vielen verschiedenen Ansätze zu zeigen, die sich dann wie bei einem Mosaik zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Meines Wissens ist es die einzige Plattform, die sich ausschliesslich auf die sozial-ökologische Transformation konzentriert – dafür in ihrer ganzen Breite.
Was verstehen Sie genau unter sozial-ökologischer Transformation und wie erreichen wir diese?
Seit ein paar Jahren sind Menschen überall auf der Welt dabei, ein neues Wirtschaftsmodell zu entwickeln. Dabei geht es darum, dass nicht mehr die Wirtschaft das entscheidende, allumfassende Thema ist, sondern der Planet Erde. Am deutlichsten wird das in der so genannten Donut-Ökonomie. Im sozial-ökologischen Wandel werden unsere eigenen Prioritäten dem Wohl der Erde untergeordnet. Ein Beispiel: Wenn ich ein Buch produziere, kann ich das billigste Material verwenden, es in China drucken lassen und dem Autor wenig Gage zahlen, um meinen Gewinn zu maximieren. Das ist die traditionelle Sicht der Dinge. Ich kann es aber auch ganz anders angehen und mich zuerst fragen, ob es dieses Buch überhaupt braucht und wenn ja, wie ich es ressourcenschonend und fair herstellen kann. Es gibt so vieles, das eigentlich unnötig ist. Im Supermarkt gibt es zigtausende von Artikeln, doch um die Grundbedürfnisse zu decken, reichen 200 aus.
Das heisst, das individuelle Konsumbewusstsein steht im Mittelpunkt?
Ja und nein. Natürlich ist es wichtig, vom Konsumismus wegzukommen. Doch ob ich jetzt diese Fairtrade-Schokolade kaufe oder eine Tafel Milka, ändert nicht viel. Das ist nur ein Fliegenschiss im System. Schliesslich machen die bewusst und kritisch denkenden Menschen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Was mir jedoch schon Hoffnung macht, ist die Beobachtung, wie schnell es in den letzten 50 Jahren in diesem Bereich vorangegangen ist. Als ich jung war, hat niemand das Wort Ökologie gekannt. Heute werden dazu Weltkongresse gehalten. Es hat sich eine Dynamik entwickelt, die sich verselbständigen kann. Ich meine, als die Nazis 1942 Europa überrannt haben, hätte auch niemand gedacht, dass das Dritte Reich drei Jahre später zusammenbrechen würde. Man darf nicht unterschätzen, welche Faktoren zusammenkommen können, um ein System innert kürzester Zeit zu verändern. Und schlussendlich: Im Prinzip bringt es nichts, zu hoffen. Aber nicht zu hoffen, bringt auch nichts – also hoffe ich lieber.
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