3 Fragen zum Pilotprojekt «Bedingungsloses Grundeinkommen» in Zürich
Sechs Jahre nach der schweizweiten Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen kommt nächste Woche ein Pilotprojekt in der Stadt Zürich an die Urne. Drei Jahre lang sollen 500 Menschen ein monatliches Grundeinkommen von 2500-3000 Franken bekommen.
Finanziert werden soll das Ganze durch die Stadt Zürich. Ein zentrales Anliegen des Projekts ist die wissenschaftliche Auswertung und Analyse der Resultate. Denn bisher war die Debatte um das Grundeinkommen vor allem ideologischer Art. Durch das Zürcher Projekt soll nun aber eruiert werden, was das Grundeinkommen tatsächlich bewirken kann: Mehr Zufriedenheit bei den Betroffenen? Mehr Zeit für Care-Arbeit und das Gemeinwohl? Oder mehr Möglichkeit zum Faulenzen? Eine echte Alternative für ein effizienteres und ökonomischeres Sozial- und Steuersystem? Eine Chance, die Schere zwischen Reich und Arm zu schliessen? Initiant Silvan Groher erklärt im Interview mit dem Zeitpunkt, warum das Experiment wichtig ist und warum Zürich der richtige Ort dafür ist.
Zeitpunkt: Seit Jahren wird über Vorteile und Risiken eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Welches Pro-Argument ist für Sie persönlich so zentral, dass Sie dieses Pilotprojekt lanciert haben?
Silvan Groher: Wir möchten auf Grund von Fakten und Auswertungen dieser drei Jahre aufzeigen, wie sich das Leben von Menschen verändert, wenn sie den finanziellen Spielraum haben, Tätigkeiten nachzugehen, die sie für wichtig und sinnvoll halten. Zum Beispiel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Kultur-, Erziehungs- oder Freiwilligenarbeit zu leisten. Oder ganz einfach ohne Existenzängste zu leben, etwa während des Studiums oder der Pensionierung. Oft wird die Befürchtung geäussert, dass das Grundeinkommen Leute faul macht. Darauf antworte ich: Natürlich würden die Leute tendenziell weniger machen. Doch was soll das eigentlich heissen? Wenn ich weniger arbeite, dafür aber mehr Zeit habe, meine Grossmutter zu besuchen oder in einem Permakulturprojekt zu arbeiten – ist das etwa ein Ausdruck von Faulheit? Oder kann damit auch verhindert werden, dass ich irgendwann ein Burnout bekomme? In diesem Sinn hoffe ich regelrecht, dass Leute mit Grundeinkommen weniger arbeiten – denn genau das hat unsere Gesellschaft nötig.
In Bezug auf das Ergebnis des Pilotprojekts sind wir offen, denn es interessiert uns wirklich, was dabei herauskommt. Wir erhoffen wir uns einen echten und faktenbasierten Input zur Frage, ob ein Grundeinkommen eine gangbare Alternative zum bestehenden Sozialsystem sein kann.
Inwiefern kann ein Pilotversuch von drei Jahren zeigen, wie sich das Gewähren eines Grundeinkommens längerfristig auswirken würde?
Ehrlich gesagt haben wir schlicht und einfach keine Zeit mehr, um noch zehn Jahre lang darüber zu diskutieren und forschen. Digitalisierung, Automatisierung, Pandemie, Klimakrise und zunehmende Ressourcenknappheit stellen uns vor enorme Herausforderungen. Die Sozialsysteme und die Erwerbsarbeit kommen zunehmend unter Druck. Dies und unser psychischer Zustand erfordert schnelles Handeln. Burnouts sind immer verbreiteter, und die Lying-Flat-Bewegung («Flachliegen») gewinnt auch bei uns immer mehr Anhängerinnen und Anhänger: Es ist eine Art Protest gegen die sinnlose Überarbeitung und das Leben im Hamsterrad.
Hat die Initiative in Zürich eine Chance, nachdem der nationale Vorstoss mit nur 23 Prozent Ja-Stimmen abgelehnt wurde?
Auf nationaler Ebene ist die Initiative nach wie vor nicht mehrheitsfähig. Doch in Zürich sieht das anders aus. Bereits 2016 wurde die Vorlage in den Kreisen 4 und 5 mit einer Mehrheit angenommen. Dazumal war ausser den Jungen Grünen keine Partei dafür. In der Zwischenzeit gibt es jedoch eine politische Mehrheit. SP, Grüne und die AL haben Ja-Parolen herausgegeben, GLP und die Mitte haben die Stimmfreigabe beschlossen. Einzig die FDP und die SVP sind dagegen. Wenn man sich aktuell auf der Strasse umhört, sagen viele Passantinnen und Passanten Ja zu diesem Experiment, selbst wenn sie gegenüber einer nationalen Vorlage eher kritisch eingestellt. Oft heisst es: Da haben wir ja nichts zu verlieren, und Ausprobieren schadet sicher nichts. Zürich ist auch insofern ein vielversprechender Ort für dieses Projekt, weil es einen hohen Anteil an sozial marginalisierten Menschen hat. Zürich könnte mit diesem Projekt internationale Aufmerksamkeit erlangen und zu einer Pionierstadt werden.
Mehr Infos: www.pilotprojekt-grundeinkommen.ch
von:
- Anmelden oder Registieren um Kommentare verfassen zu können