Gold oder Geist – Philipp der Schöne und der Impuls der Tempelritter

Wer Gold hortet, verliert seine Seele. Wer Gold verteilt, schafft Werte. Zwei unvereinbare Ideale, damals wie heute. Der französische König Philipp IV wollte alles Gold der Erde und damit uneingeschränkte Macht. Der Templerorden verwaltete das Gold und seine Schätze selbstlos und weisheitsvoll, im Sinne einer «geistig-sozialen Ökonomie». Aus der Serie: «Kulturgeschichtliche Impulse im Weltgeschehen» von Andreas Beers. Teil 4.

Rundfenster in der Kapelle von Vellau, Südtirol/© Mia Leu

Wir schreiben das Jahr Anno Domini 1314, Sonntag, den 18. März. Dunkle Fluten umspülen die Île de la Cité, die Binneninsel in der Seine, Standort der Kathedrale Notre-Dame de Paris und der älteste Teil der französischen Hauptstadt. Auf der Wasseroberfläche spiegelt sich das Feuer eines riesigen Scheiterhaufens. Weisser Rauch und lodernde Flammen steigen gegen den Nachthimmel.

Noch auf dem Scheiterhaufen stehend bekannte Jacques de Molay, der letzte Grossmeister des Templerordens seine Unschuld und die Unschuld seines Ordens. «Ich stehe vor dem Tod, Gott weiss, dass ich unschuldig bin. Bald schon, in einem knappen Jahr, wird jene, die uns zu Unrecht verurteilt haben, ein grosses Unglück treffen». Einen Monat später am 20. April starb Papst Clemens V im Alter von kaum fünfzig Jahren. Am 29. November desselben Jahres erlitt der 46-jährige französische König Philipp IV einen tödlichen Jagdunfall.

Das Mittelalter – eine finstere Ära des Kampfes um den Geist. Das exoterische Christentum, sprich die weltliche Kirche, mit Rom und den Päpsten als Machtzentrum, stand über Jahrhunderte in einem verbissenen und tödlichen Kampf mit den esoterischen Strömungen des Christentums. Mächtigster Vertreter dieser Strömungen war der Tempelritterorden. Er wurde 1118 im Königreich Jerusalem gegründet. Dieser geistliche Ritterorden stand noch in der Tradition des Urchristentums. Dies vertrat die Lehre der Trichotomie, der dreigliedrigen Differenzierung der menschlichen Wesenheit in Geist (pneuma, spiritus), Seele (psychê, anima) und Leib (sôma, corpus). Mit pneuma war der sich entwickelnde höhere Wesenskern des Menschen gemeint.

Der Geist soll verwaltet, Leib und Seele als Böses verdammt sein. Im Jahr 869 auf dem VIII. Ökumenischen Konzil in Konstantinopel, auf dem Boden des Byzantinischen Reichs, wurde der Geist unter die Verwaltung der Kirche gestellt: «Der Teufel wurde erfunden und das Böse in Seele und Leib postuliert.» Dies geschah unter Federführung der westlich-römischen Delegation – angeführt von Diakon Marinus, Bischof Donatus von Ostia und Stephanus von Nepi. Sie waren Opponenten des bereits 867 verstorbenen Papstes Nikolaus I. «Ziel» war, den Menschengeist von seiner individuellen, seiner persönlichen Beschäftigung mit dem Geistigen abzuhalten. Die empfindungsmässige Hinneigung zum Verständnis des Christus-Ereignisses, dem Mysteriums von Golgatha, sollte verhindert werden.

Kirchliche Macht und weltliche Gier vereinigten sich zur tödlichen Mischung. In diesem Kampf wurde gefoltert, vergiftet, gemordet und verbrannt. Die königlichen Dynastien Europas waren teils wissend, teils unwissend an diesem Gemetzel beteiligt. Eine besonders perfide Rolle hierbei spielte der französische König Philipp IV, auch der Schöne genannt. Er strebte mit äusserster Gier nach dem Templergold. Der Templerorden brachte das Gold in Form von Komtureien, Wechsel- und Bankhäuser in Umlauf. Sie versuchten ihr Gold und ihre Schätze in einem selbstlosen und weisheitsvollen Sinne zu verwalten. Es wurde in den Dienst einer geistig-ökonomischen Ordnung gestellt. Sein Mittelpunkt war der «Tempel» in Paris mit seinen ungeheuren Schätzen, das «Bankhaus Europas». Mit der Unterstützung des Papstes Clemens des V, gelang es Philipp dem Schönen mit Intrigen, Verleumdungen und Folter, den Tempelritterorden zu eliminieren und seine Grossmeister zu verbrennen. Papst und Kirche waren beruhigt: Ihr grösster Widersacher war vernichtet.

Gold ist das Metall geistiger Sonnenwirkung in der Erde und im Menschen. Wer giert nach der Macht über Gold und Geist, mit heutigen Worten gesprochen: Wer Finanzströme und das Denken der Menschen manipuliert, der zerstört nicht nur die Erde und die individuelle Entwicklung des Menschen, sondern vor allem den zentralen Impuls der Menscheitsevolution.

 

In dieser Serie bereits erschienen:
Teil 1: Die Schiffchen und Kettfäden auf dem Webstuhl der Welt

Teil 2: Die Durchlichtung der Welt
Teil 3: Die Wurzeln unserer Naturwissenschaft - Aristoteles und die Feldzüge Alexanders des Grossen

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.

«Wie die Gedanken sind, die du am häufigsten denkst, ganz so ist auch deine Gesinnung. Denn von den Gedanken wird die Seele genährt.» (Marc Aurel, 161 bis 180 n. Chr., römischer Kaiser)