In den Diskussionen um die beiden Agrar-Vorlagen wird viel gefordert: von der Politik, von den Bäuerinnen und Bauern und von der Agrarlobby. Doch stattdessen sollten wir uns endlich an der eigenen Nase nehmen und unsere Essgewohnheiten überdenken. Kolumne.

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Die Debatte um die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative haben in den letzten Wochen hohe Wellen geschlagen. Man diskutiert darüber, ob die Substanzen, die wir auf unsere Lebensmittel spritzen, vielleicht noch ein bisschen giftiger sind als angenommen. Ob der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Fruchtbarkeitsstörungen tatsächlich zweifelsfrei bewiesen ist. Und ob die Kosten für die Umweltschäden, die durch die aktuelle landwirtschaftliche Praxis verursacht werden, mittelfristig höher ausfallen könnten als die Gewinne durch grössere Erträge.

Gut, die konventionelle Produktionsweise von Lebensmitteln lässt nicht viel Spielraum für eine gesündere oder ökologisch verträglichere Lösung. Ja, innerhalb der Grenzen, die wir uns damit gesteckt haben, ist die Sorge über kleinere Erträge und einen erhöhten Importzwang berechtigt. Genauso wie die Angst, dass sich nicht alle die teureren Bio-Produkte leisten oder dass Bäuerinnen und Bauern Direktzahlungen gekürzt werden könnten. Ja. Aber nur, wenn wir das Problem mit Scheuklappen betrachten und nicht bereit sind, das System als ganzes in Frage zu stellen.

Die Trinkwasserinitiative fordert unter anderem, dass Landwirtschaftsbetriebe die Futtermittel für ihre Tiere selbst produzieren, statt Kraftfutter zu importieren. Schwierig, sagen die Gegnerinnen und Gegner, auch wenn sie natürlich bedauern, dass irgendwo weit weg die letzten – für uns alle überlebenswichtigen – Regenwälder abgeholzt werden, um dieses Kraftfutter herzustellen. Man dreht sich im Kreis, statt sich einmal eine ganz grundsätzliche Frage zu stellen: Müssen wir überhaupt so viel Fleisch produzieren? Doch, natürlich, denn sonst wird einfach im Ausland eingekauft, und wer verliert, sind wieder die Bauern.

Doch Stopp! Wie wäre es, wenn wir, also Sie und ich, Ihre Grossmutter und mein Arbeitskollege, also wir alle, wenn wir weniger Fleisch essen würden, zum Beispiel nur noch jeden zweiten Tag? Damit wären auf einen Schlag viele Probleme gelöst. Anstatt auf mehr Nahrungsmittelimporte zurückgreifen zu müssen, weil die Schweiz ohne Pestizide kurzfristig mit Ertragseinbussen zu rechnen hätte, könnten wir durch eine Reduktion des Fleischkonsums die Importe im allgemeinen senken. Wenn nämlich die vorhandenen Landwirtschaftsflächen für die Produktion von direkten Nahrungsmitteln wie Getreide oder Kartoffeln genutzt würden statt für Tierfutter, könnte man auf einen Schlag viel mehr Menschen ernähren. Eine Parzelle, die man braucht, um eine einzige Kuh zu ernähren, kann Lebensmittel für hundert Menschen hervorbringen. Um ein Kilo Fleisch zu produzieren, braucht es 49 Quadratmeter Land und 15’000 Liter Wasser, für ein Kilo Kartoffeln dagegen nur 100 Liter Wasser und 0.25 Quadratmeter Land. Ein Betrieb, der 50 Kilo Fleisch erzeugt, könnte stattdessen 4000 Kilo Äpfel oder 6000 Kilo Kartoffeln verkaufen und damit sogar bei gleichbleibenden Preisen ein Vielfaches verdienen.

Die Rechnung ist einfach, doch ein solcher Lösungsansatz würde bedingen, dass wir gewillt sind, unsere Essgewohnheiten zu ändern. Und dies steht ausser Frage. Unser Konsumstandard, egal wie wenig nachhaltig er ist, wird als gesetzt betrachtet, und zwar mit einer so grossen Selbstverständlichkeit, dass darüber gar nicht erst gesprochen wird. Die Debatte beginnt erst einen Schritt später: Wir brauchen halt Pestizide, weil wir nur damit garantieren können, dass gewisse Mengen von gewissen Lebensmitteln produziert werden können. Und diese brauchen wir wiederum, um die Ernährungssicherheit in der Schweiz zu gewährleisten. Doch hat schon einmal jemand ernsthaft darüber nachgedacht, wie sicher oder unsicher es wäre, mehr Kartoffeln oder Getreide zu essen statt Fleisch? Von den positiven Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt erst gar nicht zu reden.

Eins meiner Lieblingsargumente stammt übrigens von der «Allianz gegen die extremen Agrar-Initiativen». Sowohl an der Pestizid- als auch an der Trinkwasserinitiative wird kritisiert, dass die Konsumentinnen und Konsumenten in der Folge eine geringere Auswahl in den Regalen vorfinden würden, nicht mehr «gemäss ihren Werten und Wünschen» einkaufen könnten und «gesamthaft auf diese Art von Labelprodukt umstellen» müssten. Heisst im Klartext: Es würde den Leuten verunmöglicht werden, Nahrungsmittel zu kaufen, die sie gesundheitlich beeinträchtigen. Man würde ihren freien Willen beschneiden, denn sie könnten nicht mehr wählen zwischen giftigen und gesunden Produkten. Gut, das wäre natürlich wirklich ein heftiger, um nicht zu sagen diktatorischer Eingriff ins Leben der Schweizer Bevölkerung.

Kommentare

Spiel zwischen Angebot und Nachfrage

von Joshzi
Unser Konsumverhalten ist wohl ganz überwiegend vom Angebot gesteuert und auch wenn wir eine Wahl haben, sie bleibt im Rahmen verhaftet, welche die Autorin etwas polemisch zwar, aber doch auf den Punkt bringt. Erst gesundheitliche Probleme haben mir das offensichtlich gemacht, denn wer sich nicht am Druck der Lebensmittelauslagen orientieren kann, mühsam nach bestimmten Produkten suchen muss, der weiss, wovon ich spreche. Nur ein Beispiel; Zucker. Nein, nicht nach ihm suchen, sondern nach Produkten, welche ohne die zusätzliche Beigabe von Zucker auskommen. Wenn dich dann gesundheitliche Einschränkungen dazu zwingen, gleich mehreren Inhaltsstoffen auszuweichen - wovon einige nicht einmal kennzeichnungspflichtig sind - dann bist du nicht nur beschränkt in der Auswahl, du brauchst auch mehr Zeit und Geduld. Ich will mich jedoch nicht beklagen, ganz im Gegenteil, dieser  Zwang hat mir sehr viel mehr Lebensqualität verschafft, nicht nur meinem Körper, auch meine Psyche haben davon profitiert. Was ich eigentlich sagen wollte, ich sehe den Einfluss des Konsumenten erst ab dem Zeitpunkt als ein wesentlicher Faktor, ab welchem ein adäquates Alternativangebot zum Aktuellen vorhanden sein sollte. Und Zeit spielt dabei sicher auch eine Rolle, wer keine Zeit zum Essen hat, zum Kochen, der greift  vielleicht eher nach billig oder billigst produzierter, allenfalls schon vorgefertigter Lebensmittel. Aber vielleicht ist das auch eine Frage unseres Systems? Immerhin, wir wissen, egal wie verseucht unser Trinkwasser in Dekaden auch sein mag - irgend ein Multi wird es uns in Flaschen ganz sicher zum Kauf anbieten wollen. Freiheit hat halt ihren Preis.