Laut gedacht – Eindrücke von der Zürcher Friedensdemo 2
Wenn eine friedlich verlaufene Demo Emotionen weckt, zum Denken anregt, konstruktive Visionen ermöglicht und aufzeigt, dass Frieden keine fertige Lösung ist, sondern ein Weg, der gesucht und mit vereinten Kräften gegangen werden muss, dann hat sie eine wichtige Aufgabe erfüllt.
Am 25. Februar 2023 fand in Zürich, zeitgleich mit Berlin (hier unser Bericht über die Kundgebung in Berlin), eine Friedensdemo zum Jahrestag des russisch-ukrainischen Krieges statt. Sie stand unter dem Motto: «Schluss mit Krieg – Für Frieden und Völkerfreundschaft!». Hauptträgerin des heterogenen Demo-Bündnisses «Schluss mit Krieg», war die Schweizerische Friedensbewegung SFB.
Rund ein Dutzend RednerInnen aus linken Kreisen, Migration, Basler Frauenvereinigung, Tierrechtsgruppen und andere nutzten die Bühne um über die verschiedensten Aspekte des Krieges zu sprechen.
Tarek Idri von der SFB stellte die Forderung nach einem Waffenstillstand sowie Friedensverhandlungen in den Mittelpunkt; der Vertreter der Vereinigung Schweiz-Kuba forderte das Ende der Sanktionen und verwies auf die Folgen der US-Wirtschaftsblockade in Kuba; der Menschenrechtsaktivist Amine Diare Conde verurteilte die Ungleichbehandlung im Asylwesen, bei dem ukrainische Flüchtlinge im Unterschied zu anderen Kriegsflüchtlingen einen privilegierten S-Schutzstatus erhalten. Anwesend waren laut SFB um die 500 Personen – und ich mittendrin.
Willkommen sind ALLE, die ehrlich Frieden wollen.
Sehr wohl fühle ich mich nicht bei Gruppenaufmärschen, die im Chor Parolen skandieren. Trotzdem gesellte ich mich dazu, wollte als Pazifistin und Friedensaktivistin ein Zeichen für den Frieden setzen. Beim Ankommen empfingen mich eine friedvolle Stimmung, segelnde Papierflieger, musizierende Menschen und viele Plakate mit Botschaften, was friedensfördernd oder friedensbehindernd sein soll.
Verschiedenste Meinungen mit einer gemeinsamen Absicht, die vereinigend wirkte: Frieden in der Welt!
Mittendrin gruppierten sich dunkle Gestalten mit schwarzen Masken – bedrohlich wie eine Gewitterwolke, bei der man nicht so recht weiss, was sich da zusammenbraut. Eine vereinigte aggressionsbereite Kraft, ein mottendes Feuer, bereit oder willens, explosionsartig auszubrechen. Beklemmung und Argwohn breiten sich in der zuvor positiven Grundstimmung der Demonstrierenden aus.
Dann die Ansage der OrganisatorInnen: Keine Gewalt, keine Sachbeschädigung, keine Querdenker. Warum diese Spaltung? Und warum wird eine bekannterweise gewaltbereite Gruppe nicht auch in die Schranken verwiesen? Abgewiesen und weggeschickt wurden stattdessen die lauten, aber friedlichen «Trychler» und «Mass-Voll», nicht aber der «schwarze Block».
Gerade bei letzteren stellt sich die Frage, weshalb das Verhüllungsverbot nicht mehr greift? Die Pandemie ist vorbei. Und dass Einzelne sich sicherer fühlen hinter einer Maske, begründet nicht die Maskierung einer ganzen Gruppe. Die etwas hilflosen Erklärungsversuche einer Demo-Helferin bringen keine Klärung.
Es scheint, als würde willkürlich gespalten: Eine sehr heterogene Gruppe freidenkender Menschen, bestehend aus verschiedensten politischen Richtungen, unterschiedlicher Herkunft und Altersgruppen sowie aus diversen sozialen Schichten, wird einfach global abgelehnt und einzelne Vertreter weggewiesen. Doch eine Gruppe, die immer wieder durch aggressives Verhalten auffällt, der «schwarze Block», wird toleriert. Eine schwer nachvollziehbare Ungleichbehandlung, die die zuvor positive Aufbruchsstimmung spürbar in Verärgerung kippen lässt. Es wird das Gegenteil von dem erreicht, was der Grund dieser Demo ist: Frieden, Toleranz, Aufeinander-Zugehen, Dialog.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine eindrückliche Episode erwähnen: Der bekannte Aktivist Alec Gagneux steht friedlich da, mit weisser Fahne und wird ohne ersichtlichen Grund von einem Schwarzblock-Mitglied angegriffen, indem dieses ihm Milchschokolade ins Gesicht schüttet. Gagneux nimmt den Übergriff erstaunlich gelassen und meint humoristisch, die Schokolade schmecke gut.
Von mir später darauf angesprochen, meint er, er wolle nichts weiter unternehmen. Die Jacke könne er waschen. Diese Reaktion ist bemerkenswert: Gagneux erwidert nicht Angriff mit Gegenangriff.
Dadurch, dass er nicht in die Falle des gekränkten Stolzes stolpert, ist es ihm möglich, eine sachlich-humoristische Distanz zu wahren und aus der zwar ärgerlichen Mücke keinen Elefanten zu machen. Das ist gelebte Friedfertigkeit, die von wahrer Grösse und innerem Frieden zeugt. Wer so handelt gibt nicht klein bei, sondern hat durch seine integre Haltung die Schlacht gewonnen.
Was könnten wir daraus lernen? Sahra Wagenknecht hat vor der Demo in Berlin, als Reaktion auf Spaltungs- und Ausschlussversuche, mit folgenden Worten reagiert: «Willkommen sind ALLE, die ehrlich Frieden wollen.»
Genau darum geht es: Frieden, Toleranz und Offenheit, auch gegenüber Andersdenkenden, müsste im Zentrum stehen. Genauso wie die gemeinsame Suche nach friedlicher Überwindung von unüberbrückbar erscheinenden Differenzen. Nicht eine Meinungsschlacht ist gefragt, sondern das sachliche Bemühen um eine konstruktive Lösung für ein Problem, in das alle involviert sind. Zudem sollten Integrationsbemühungen den Spaltungstendenzen entgegenwirken. Nichts verloren haben einzig Gewalttendenzen und abwertende, verletzende Aussagen.
Durch ein konsequent durchgesetztes Verhüllungsverbot wären die Teilnehmenden gezwungen, mit ihrer Identität hinter ihrem Wirken zu stehen und dafür Verantwortung zu übernehmen.
Anders als in unserem Nachbarland Deutschland könnten wir SchweizerInnen uns wieder auf unsere Grundwerte zurückerinnern: An unsere Demokratie, die Meinungsvielfalt zulässt und den Diskurs tolerant, sachlich und diplomatisch führt; an unsere Neutralität, die gerade dadurch, dass sie nicht aktiv Partei für eine Seite ergreift, eine vermittelnde Mediator-Rolle übernehmen kann.
Menschenrechtsverletzungen werden zwar benannt und verurteilt, doch haben alle Seiten Raum, um ihre Anliegen darzustellen. Dabei ist wichtig zu unterscheiden, dass «Verstehen» nicht gleichbedeutend ist mit «Gut-Heissen». Und dass «Sich-Entschuldigen» zwar einen Schritt aufeinander zu bedeutet, nicht aber gleichzusetzen ist mit «Ent-schulden». Schuld muss aufgearbeitet werden, braucht Wiedergutmachungsbestrebungen, sollte aber nicht für Rachegedanken missbraucht werden. Denn was nützt es, wenn eines Tages auf unserem Grabstein steht: «Denen haben wir’s aber gezeigt!»?
Überhaupt darf das Bewusstsein wachsen, über das, was uns verbindet, uns zu einer grossen Menschheitsfamilie macht. Unabhängig von unserer Hautfarbe fliesst in uns allen dasselbe Blut und wir alle atmen dieselbe Luft. Auch sollten wir erkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen: Wenn wir durch einen Atomangriff unsere Lebensgrundlage, unsere Erde zerstören, dann gehen wir alle miteinander unter. Unsere Waffen sind mittlerweile so potent und zerstörerisch, dass wir alle gemeinsam zu Verlierern werden.
Musik kann verbinden, weil sie in der internationalen Sprache des Herzens spricht. An der Demo war der Liedermacher Pippo Pollina integrierend unterwegs, da auch er keine Spaltung von Völkern und Meinungen unterstützen wollte. Er meinte sinngemäss, es gehe nicht um Parteizugehörigkeit, nicht um Ideologien und «-ismen», sondern einzig und allein um die Frage, wie wir alle Frieden finden könnten.
Am Schluss der Demo stimmte er das Lied «Bella Ciao» an, das mit Freude von vielen mitgesungen wurde und alles Spaltende für einen Moment überbrückte. Es weckte in mir die Sehnsucht nach Friedens-Veranstaltungen zwischen Menschen und nicht zwischen Meinungsverfechtern, die zu einem grossen Fest des Friedens werden.
Einige LeserInnen fragen sich vielleicht, wie wir konkret am inneren und äusseren Frieden arbeiten können. Dazu sei auf die vierteilige Serie «Frieden lernen» verwiesen:
zeitpunkt.ch/frieden-lernen Teil 1
zeitpunkt.ch/kommunikation-die-bruecken-baut Teil 2
zeitpunkt.ch/das-verbindende-der-kreiskulturen Teil 3
zeitpunkt.ch/achtsamkeit-und-gegenwaertigkeit-als-weg-zu-innerem-frieden Teil 4
Sowie auf die Initiative von «Europe for Peace» zeitpunkt.ch/index.php/europe-peace-lanciert-eine-kampagne-den-frieden-die-eigenen-haende-nehmen
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