Jakob Fugger war reich und schlau und sorgte vor – hätte er heute gelebt, hätte sein Trend zum Ablasshandel sicher auch das Klimagewissen beruhigt. Die Samstagskolumne.

Jakob Fugger, Bild: Albrecht Dürer

«Ich wohne direkt neben Wolfgang Amadeus’ Urgrossvater», grinste die betagte Dame schelmisch, als ich sie fragte, ob sie auch hier wohne. 

Tatsächlich lebte Franz Mozart von 1681 bis zu seinem Tod 1694 in der betreffenden Wohnung. Die sogenannte Fuggerei – eine Reihenhaussiedlung in der bayrischen Stadt Augsburg – ist mit über 500 Jahren die wahrscheinlich älteste Sozialsiedlung der Welt. 

Wer in der Fuggerei wohnen will, muss Augsburger, katholisch, unverschuldet verarmt und gut beleumundet sein. Die Jahres(kalt)miete für eine der 140 Wohnungen beträgt bis heute den nominellen, inflationsunbeachteten Wert eines Rheinischen Guldens (umgerechnet 0,88 Euro). So wollte es der Stifter.

Der Stifter heisst Jakob Fugger. Er war der Enkel eines Bauern und der reichste Mensch, der jemals gelebt hat. Als Jakob Fugger 1525 starb, betrug sein Vermögen 2% des europäischen Bruttosozialproduktes. Er war wohl der einzige Mensch, der König Karl V. ein Mahnschreiben aufsetzte und durchsetzen konnte. 

Karl V. war der mächtigste Mann der damalig bekannten Welt. Er besass 81 Titel, darunter Heiliger römischer Kaiser, König von Spanien, Neapel und Jerusalem, Gebieter über Asien und Afrika. Er herrschte über das grösste Reich seit Julius Cäsar. Es war das erste Reich der Geschichte, in dem niemals die Sonne unterging. 

Jakob Fugger war der erste Kaufmann nördlich der Alpen, der die doppelte Buchführung verwendete.

Das alles wäre für diesen nicht möglich gewesen, ohne den Augsburger Bauernenkel, der alles finanzierte. Jakob Fugger bezahlte nicht nur die exorbitanten Bestechungsgelder, um Karl die Wahl zum römisch-deutschen «Gott auf Erden» zu ermöglichen. Er rückte auch das Habsburgerreich in den Mittelpunkt des Kontinents, erweckte den europäischen Handel aus dem mittelalterlichen Dornröschenschlaf und rang Martin Luther sowie dem Papst die Anerkennung des Geldverleihs und des Zinsnehmens ab. 

Martin Luther habe Gott an jenem Tag Schluchzen gehört. Jakob Fugger stellte das Geld zur Niederschlagung des Bauernaufstandes zur Verfügung. Er brach der Hanse das Genick und er finanzierte höchstwahrscheinlich auch Magellans Weltumseglung sowie weitere Eroberungsreisen nach Amerika. 

vWie aber war das alles für Jakob Fugger möglich geworden?

Jakob Fugger war der erste Kaufmann nördlich der Alpen, der die doppelte Buchführung verwendete und der Erste überhaupt, der die Ergebnisse vielfältigster Geschäfte und Transaktionen in einer einzigen Firmenbilanz abbildete – ein Meilenstein, der ihm die zeitnahe Kontrolle über sein gesamtes Wirtschaftsimperium ermöglichte. 

Die Gründung eines Nachrichtendienstes, der ihm die wichtigen Informationen vor seinen Rivalen und Kunden verschaffte, brachte ihm eine Erwähnung in der Geschichte des Journalismus ein und die Rothschilds auf die Idee, wie sie durch eine Täuschung über den Ausgang der Schlacht von Waterloo ihr Vermögen an den europäischen Börsenplätzen enorm vervielfachen konnten. 

Aber weder sie noch die Medici noch John D. Rockefeller toppten Fuggers Reichtum. Jakob Fugger ist bis heute der reichste Mann der Weltgeschichte. Er steht für die Gleichung Weltgeschichte = Geldgeschichte. 

Fuggers fulminanter Aufstieg begann 1495, nach Lehrjahren in Venedig, der nach Paris und Neapel damals grössten und reichsten Stadt Europas. In der Handelsmetropole am Canale Grande beschrieb der toskanische Franziskanermönch und Mathematiker Luca Pacioli als Erster komplett die doppelte Buchführung – wie sie heute noch angewandt wird, die 1494 in der Publikation «Summa di arithmetica, geometria, propartioni et proportionalita» erschien. 

Luca Pacioli und Jakob Fugger sind sozusagen die Väter des modernen Kapitalismus, der Globalisierung des Handels – und möglicherweise auch die Totengräber unseres Planeten. 

In Jane Gleeson-Whites Buch «Soll und Haben – Die doppelte Buchführung und die Entstehung des modernen Kapitalismus» breitet sie süffig die unerzählte Geschichte unserer Zivilisation aus und wie wir durch unser ausschliesslich auf Zahlen ausgerichtetes Handeln die Erde zugrunde richten. Erst die doppelte Buchführung ermöglichte den Banken die Giralgeldschöpfung, damit Einfluss auf Preise und Inflation und damit die Aneignung von realen Werten ohne vorangehende eigene Leistung; ein staatlich legitimiertes Schuldgeld-Ponzi-System, das wiederkehrend in schwere Finanzkrisen, fürchterliche Hungersnöte und verlogene Kriege führt (siehe auch «Vom Gelde», Buch des Berliner Bankiers Alfred Lansburgh).

Jakob Fugger war nicht nur Unternehmer (Bergbau) und Kaufmann (Handel), sondern eben auch Bankier und nahm durch das Privileg der Münzhoheit und Buchgeldschöpfung enormen Einfluss auf die politische und religiöse Gestaltung Europas. 

Sein Geld half dem «Richtigen» auf den Thron und sein Entscheid verhalf Papst Julius II. zu einer eigenen Schweizer Garde. Die Schweizer waren damals die brutalsten, loyalsten und damit teuersten Söldner, die für Geld zu haben waren. Jeder Monarch, der seine Macht behalten wollte und etwas auf sich hielt, hielt sich ein Regiment mit kampflustigen Eidgenossen.

Wenn der Emissionshandel und das Klimakleben nicht helfen, können wir es dereinst noch mit beten versuchen.

Jakob Fugger war zudem der Architekt des berüchtigten Petersablasses, der Luther zu seinen 95 Thesen provozierte; jenes Dokument, welches die Reformation auslöste und Europas Glauben entzweite. 

Fugger wäre heute wohl auch einer der ersten im Geschäft mit dem CO2-Zertifikatehandel gewesen, dem zeitgenössischen Ablass mit dem schlechten Gewissen eines neuen Aberglaubens, der ver(w)irrten Rettung der Welt durch Buchgeldschöpfung. Fugger war zwar Pragmatiker, innovativ, selbstsicher und verfügte über Verhandlungsgeschick und Nervenstärke. Dennoch liess er sich ein Türchen offen, falls sein Wirken auf Erden ihm doch die Verdammnis im Fegefeuer einbrächte.

«Mit dem Recht, als ‘würdige Arme’ hier zu wohnen, verpflichte ich mich auch, dem Stifter und seiner Familie täglich ein ‘Vaterunser’, ein Glaubensbekenntnis und ein ‘Ave Maria’ zu sprechen», ergänzt die alte Dame ernst.

«Täglich? Alle Mieter? Seit 500 Jahren?» hake ich erstaunt nach. «Was für ein um- und weitsichtiger Mann Jakob Fugger ‘Der Reiche’ nur war.»

Wenn der Emissionshandel und das Klimakleben nicht helfen, können wir es dereinst noch mit beten versuchen.

Über

Thomas Brändle

Submitted by admin2 on Do, 08/18/2022 - 14:51

Thomas Brändle lebt im zugerischen Ägerital, ist Familienvater, Bäcker-Konditor-Confiseur, gewerblicher Kleinunternehmer, www.cafe-braendle.ch, Autor (Mitglied ISSV, AdS, PEN), alt Kantonsrat, Mitinitiant der www.vollgeld-initiative.ch. In seinem Romanerstling «Das Geheimnis von Montreux» thematisierte er Kellers Prophezeiung durch den Protagonisten Marco Keller, Nationalrat und Nachfahre des Schriftstellers Gottfried Keller.

Die Bücher von Thomas Brändle.