3 Fragen an Friedensforscherin Laura Condrau

In der aktuellen Krise müssen wir uns oft mit Andersdenkenden auseinandersetzen. Deswegen hält Laura Condrau die Friedensarbeit für wichtiger denn je. Gefühle wie Angst oder Wut haben laut der 33-Jährigen fast nie etwas mit unserem Gegenüber zu tun, sondern kommen dadurch zu Stande, dass wir unsere eigenen Gefühle und Ängste projizieren.

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Zeitpunkt: Womit beschäftigt man sich als Friedensforscherin?

Laura Condrau: Wir gehen der Frage nach, wie Frieden zwischen Menschen und Staaten möglich ist, und wie Gewalt transformiert werden kann. Es gibt aber so viele Arten von Friedensforschung, wie es Perspektiven gibt. Alleine dies anzuerkennen, ist bereits Friedensarbeit. Partizipative Sozialprojekte können genauso Friedensarbeit sein wie Ausstellungen, Theater, Vorträge oder Filme.

Für mich persönlich ist jedoch die grösste Kunst der Friedensarbeit, sich eine Lebensweise anzueignen, wie sie oft in östlichen Traditionen oder in der humanistischen Psychologie zu finden ist: Es geht darum, seinen Platz im Ganzen zu finden und im Fluss des Ganzen handeln zu können. Dies beinhaltet unter anderem die Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeitsstruktur, und mit unseren friedvollen und gewaltvollen Anteilen. Ganzwerdung wird in verschiedenen Traditionen als unterschiedlicher Prozess beschrieben, im Buddhismus zum Beispiel durch den «Achtfachen Pfad der Erleuchtung». Vereinfacht ausgedrückt geht es meiner Meinung nach stets darum, unbewusste destruktive Verhaltensweisen in konstruktive bewusste Verhaltensweisen zu transformieren. Und diese mit einer spontanen und selbstverständlichen Natürlichkeit zu leben.

«Die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit ist zentral für Friedensarbeit.»

Haben Sie dies geschafft und in welchem Bereich sind Sie zurzeit tätig?

In meinem Masterstudiengang «Transrationale Friedensforschung» an der Universität Innsbruck war die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit ein wichtiger Bestandteil. Ich habe beispielsweise gelernt, dass eine meiner antrainierten Überlebensmechanismen auf der Opferrolle basieren. Dies führt dazu, dass ich mich manchmal minderwertig fühle und andere anklage, also auch zur Täterin werde. Dieses Szenario ist weit verbreitet und mündet oft im Drama oder in Konflikten. Weil ich mir dessen nun bewusst bin, kann ich mein Verhalten öfter korrigieren, bevor es zum Konflikt kommt. Dieses Verhaltensmuster, das ich auch bei Mitmenschen beobachte, wird als Blockade bezeichnet, die sich körperlich und psychisch auswirken kann. Durch Körperarbeit wie Tanz, Yoga oder Atemarbeit können diese Blockaden aufgelöst und transformiert werden. Mich fasziniert dieser Ansatz der Friedensarbeit, weil er für mich das Problem bei der Wurzel angeht: bei mir selbst. Zurzeit lasse ich mich deswegen zur Kundalini-Yogalehrerin ausbilden.

Warum ist der Diskurs über Frieden und friedliche Konfliktlösung gerade heute so wichtig?

Wenn wir in die Welt blicken, sehen wir die Notwendigkeit für Friedensarbeit überall, aber fast nie bei uns selbst. Gerade jetzt, während der Coronakrise, haben wir meiner Meinung die Chance, uns unseren eigenen Gewaltstrukturen bewusst zu werden, weil wir oft Andersdenkenden begegnen. Unsere Gewaltstrukturen äussern sich in unserem Denken, Fühlen und Handeln. Mir selbst fällt es oft schwer, Andersdenkenden meine Meinung zu sagen. Gefühle wie Angst und Wut haben aber fast nie etwas mit dem Gegenüber zu tun, sondern meistens mit uns selbst und mit unserer Vergangenheit. Wenn wir uns vermehrt trauen, diese Gefühle zu fühlen und sie weniger auf andere zu projizieren, können wir uns hin zu einer friedlicheren Gesellschaft entwickeln. Die Frage ist nur, ob wir diese Chance packen, oder ob wir unsere Aggressionen und Ängste – und damit auch unsere inneren Gewaltstrukturen – weiterhin nach Aussen verlagern.

Laura Condrau schloss nach einem Studium in Soziologie im Januar 2021 den Masterstudiengang in transrationaler Friedensforschung an der Universität Innsbruck ab. Sie organisiert unter anderem das Online-Friedensfestival friedensfestival.ch. Sie wird am 11. Dezember im «Zeitpunkt» eine Kolumne zum Tag der Menschenrechte schreiben.