3 Fragen an Zukunftsforscher Franz Nahrada

Vor ein paar Tagen endete der Lockdown in Österreich. Allerdings nur für Geimpfte und Genesene. Unser Mann vor Ort, Franz Nahrada, macht sich über die letzte Zeit, über die Gegenwart und Zukunft Gedanken. Ihn besorgen die jüngsten Entwicklungen, etwa auch die Impfpflicht, die in Österreich nun Realität werden wird. Der 66-Jährige findet genug Gründe, eine Impfpflicht abzulehnen. Und mit den Ungeimpften habe man einen bequemen Sündenbock gefunden. Was das nächste Jahr bringt? Der Zukunftsforscher ist sich nicht sicher: Wird es noch mehr Virusvarianten geben?

© Jürgen Makowecz

Zeitpunkt: Wie erlebten Sie die Tage eingeschlossen in Ihren vier Wänden in Österreich? Und erachten Sie den Lockdown als sinnvoll?

Franz Nahrada: Der Lockdown ist eine sehr brutale Massnahme und ist durch die Unmöglichkeit, die genauen Umstände zu berücksichtigen, im Endeffekt auch sehr willkürlich. Wie man eben auch an den Ausnahmeregelungen sieht. Das Zurechtkommen mit einem Lockdown ist eine Frage des Lebensstandards, der Wohnverhältnisse, des Wohnorts. Nun werden alle Konstruktionsfehler unserer Gesellschaft sichtbar: Von der schreienden Ungleichheit bis hin zur offensichtlichen Unfähigkeit der Politik, auf dem Mitdenken und der Einsicht der Menschen zu bauen.

Es ist schon seltsam: Knapp vor der Verkündung des Lockdowns hatte ich den Eindruck, dass entgegen allen öffentlichen Ankündigungen der Pandemie einfach freien Lauf gelassen wurde. Schon länger war bekannt, dass es Impfdurchbrüche gibt. Dennoch wurde die Impfung weiter wie der heilige Gral behandelt, das Ende der Pandemie verkündet und insbesondere die Geimpften zu relativer Sorglosigkeit ermuntert.

Der Topos «die Ungeimpften sind schuld, weil so viele von ihnen auf den Intensivstationen liegen» erinnert mich verdammt an das beliebte Victim Blaming.

Als dann dieses Versagen der Politik in Sachen Vorausschau – was ja auch von vielen Experten angeprangert wurde – offensichtlich wurde, hat man in den Ungeimpften einen bequemen Sündenbock gefunden und aufgebaut. Diese Wochen, in denen zunächst auch ein «Lockdown der Ungeimpften» verkündet wurde, gehören zu den Tiefpunkten der politischen Kultur unseres Landes. Die Politik hat damit eine ganz gefährliche Eskalationsspirale losgetreten. Denn damit hat sie die Tendenz zur Spaltung in unserer Gesellschaft entscheidend angefacht. Der Topos «die Ungeimpften sind schuld, weil so viele von ihnen auf den Intensivstationen liegen» erinnert mich an das beliebte Victim Blaming. Ich denke mir, dass es eben auch anders sein könnte, dass gerade die sorglosen Geimpften ein entscheidender Faktor waren. Wir werden es nie erfahren.

Österreich hat mit der Ankündigung der Impfpflicht viele überrascht. Was halten Sie davon? Sind Sie geimpft? Und wie erleben Sie den Lockdown?

Also ich bin dreimal geimpft, habe mir diese Woche die Booster-Impfung geholt. Im vollen Bewusstsein, dass das ein sehr relativer Schutz ist. Aber ich gehöre selbst der Hochrisikogruppe an und muss mich vor schweren Verläufen schützen. Mein Arzt hat sehr sympathisch ehrlich gesagt: «Was die Langzeitfolgen betrifft, da weiss ich nicht wesentlich mehr als Sie.» Und wie ich den Lockdown erlebe? Einerseits bin ich sehr privilegiert als Pensionist, habe keine Arbeitsverpflichtung und keine fixen Termine. Es ist wie eine Art Winterschlaf für mich, ein Zurückziehen und Einigeln. Anderen Menschen geht es nicht so gut. Die müssen mit 3G an ihren Arbeitsplätzen antreten und sich dem Risiko der Ansteckung im öffentlichen Verkehr und sonstwo aussetzen. Andererseits merke ich, wie die Einsamkeit mir doch sehr zu schaffen macht und depressive Anflüge immer häufiger werden.

Die Corona-Impfung ist weder mit der Impfung der Pockenlähmung noch der Kinderlähmung vergleichbar. Die Impfung ist weder steril noch nachhaltig, und wir wissen so gut wie nichts über die längerfristige Wirkung wiederholter mRNA-shots auf das komplexe Immunsystem. Dazu kommt, dass es durchaus Impfrisiken gibt, die natürlich zum Impfvorteil in Verhältnis gesetzt werden müssen. Der Kardinalfehler ist, dass man das Feld komplett kommerziellen Interessensgruppen überlassen hat. Igendwie macht mir die Vorstellung Angst, dass mein Immunsystem von einem permanenten Systemupdate abhängig wird. Das sind genug Einwände, um die Impfpflicht als schlechte Idee zurückzuweisen. Man sollte zumindest eine Sorgfaltspflicht für Ungeimpfte im Umgang mit anderen Menschen als Alternative anbieten, auch wenn die wahrscheinlich schwer kontrollierbar und nur rückwirkend zu sanktionieren ist.

Und nun, wie weiter? Können Sie uns als Zukunftsforscher ein mögliches Bild des nächsten Jahres zeichnen?

Erst mal: Corona müsste ein Ereignis sein zur kompletten Revision unserer Lebensstile, zu einem Übergang zu viel widerstandsfähigeren und gesünderen sozialen Arrangements, die Menschen nicht in wirtschaftliche Notlagen stürzen, wenn der Laden auf einige Zeit zugesperrt wird. Es hat etwas mit lokalen Kreisläufen zu tun, mit Bevorratung, mit der Kraft der Nähe – aber offensichtlich dauert dieser Lernprozess sehr lange oder findet gar nicht statt. Es gibt so etwas wie die Gunst der Stunde, wie jetzt, bei der weitreichende Weichenstellungen plötzlich möglich sind.

Das Bild, das ich vom nächsten Jahr vor mir sehe, ist sehr widersprüchlich und nicht eindeutig. Es könnte gut sein, dass neue Virusvarianten uns in immer neue Zeitschleifen stürzen. Es könnte aber auch sein, dass wir irgendwann den Punkt erreichen, wo wir medizinisch so sehr abgesichert gegen schwere Verläufe sind, dass zumindest gesunde Erwachsene es wagen können, ihr Immunsystem direkt mit Corona zu konfrontieren. Jedenfalls wird uns das Thema leider noch einige Zeit beschäftigen. Im besten Fall wird der wachsende Widerstand alle Seiten dazu zwingen, eine ganzheitlichere Sicht aufs Thema einzunehmen und nicht blind in die verlockende technokratische Falle zu laufen.