Drei Fragen an die Psychologin Yvik Astrid Adler

Die Coronakrise, die macht was mit uns: Zumindest sind Menschen mit psychischen Problemen seit dem Lockdown häufiger geworden, berichten Studien. Dies stellt Yvik Astrid Adler auch in ihrem Praxisalltag fest. Sie ist Fachpsychologin für Psychotherapie und Co-Präsidentin der Dachorganisation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP. Klare Tagesstrukturen und viel Bewegung an der frischen Luft, das empfiehlt sie.

©Yvik Astrid Adler

Zeitpunkt: Frau Adler, nehmen seit Beginn der Coronakrise die Anfragen von Betroffenen bei Psychologinnen und Psychologen zu?

Yvik Astrid Adler: Bei einer kürzlich erfolgten Umfrage bei unseren Mitgliedern bestätigte sich unsere Vermutung vom März, dass der Bedarf an Behandlungen zunehmen wird. 46 Prozent der 1300 Psychologinnen und Psychologen, die sich daran beteiligt haben, berichten von einer steigenden Nachfrage seit dem Frühsommer. Das betrifft einerseits bestehende Patientinnen und Patienten, deren Symptome sich wegen der Coronakrise verschlimmert haben. Andererseits gibt es aber auch viele Neuanmeldungen von Personen, die bisher nicht in Behandlung waren und neu aufgrund der Belastungen durch die Krisensituation professionelle Hilfe benötigen. 71 Prozent der befragten Psychologinnen und Psychologen mussten wegen mangelnder Kapazität Patienten abweisen. Dass die Coronakrise negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat, zeigt sich auch in anderen Untersuchungen. Eine kürzlich vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) publizierten Studie belegt, dass auch niederschwellige Angebote wie die Dargebotene Hand oder das Beratungstelefon von Pro Juventute eine zunehmende Nachfrage feststellen. Und psychiatrische Kliniken, vor allem im Kinder- und Jugendbereich, melden aktuell eine steigende Belegung.

Welche psychischen Probleme werden am häufigsten berichtet?

In meiner Praxis meldeten sich in den letzten Monaten vermehrt Menschen wegen depressiver Symptome wie Bedrücktheit und Hoffnungslosigkeit. Aber auch Beziehungsprobleme sowie Angst- und Zwangsstörungen haben zugenommen. In der oben genannten Studie vom BAG wird über eine Tendenz der Zunahme von Suizidalität bei der Bevölkerung berichtet. Das ist alarmierend. Und je nach beruflicher Situation haben Menschen zusehends wirtschaftliche Schwierigkeiten, diese können Existenzängste und das Gefühl von Ausgeliefertsein und Hoffnungslosigkeit auslösen. Bei Kindern aus belasteten Familiensystemen muss man in der nächsten Zeit sehr aufmerksam sein und darauf achten, sie weiterhin besonders zu unterstützen.

Wie sollen Betroffene vorgehen, die an einer psychischen Erkrankung leiden?

Nun gilt es, besonders gut für sich zu sorgen: mit einer klaren Tagesstruktur und möglichst viel Bewegung an der frischen Luft. Soziale Kontakte mit Freunden und Angehörigen weiter pflegen und sich möglichst sinnstiftend zu betätigen. Bei dringendem Gesprächsbedarf, ohne dass man an einer schweren psychischen Störung leidet, kann man niederschwellige Hilfsangebote wie die Dargebotene Hand in Anspruch nehmen. Auch Webseiten wie www.dureschnufe.ch oder www.wie-gehts-dir.ch bieten wertvolle Tipps. Gute Behandlungsangebote können, je nach Versicherungsmodell, über den Hausarzt oder direkt bei niedergelassenen psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten gefunden werden. Auf unserer Website gibt es zudem eine Suchmaschine, den PsyFinder, wo man nach Region und Problematik geeignete professionelle Hilfe finden kann. Eine frühzeitige Behandlung kann eine Chronifizierung und Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung verhindern.


Das Interview führte Stephan Seiler.