Das Netzwerk «Linksbündig» kritisiert die Corona-Massnahmen aus explizit linker Perspektive. Ihre Mitglieder – die zum Teil anonym bleiben – mussten deshalb schon viel Kritik einstecken. Im Vordergrund steht das Anliegen zu analysieren, was in den letzten zwei Jahren politisch und gesellschaftlich abgelaufen ist. Dabei kann unter anderem auch der Vorwurf entkräftet werden, die Massnahmengegner/innen seien grösstenteils rechts orientiert. «Linksbündig» wirft vielmehr den linken Parteien vor, nur noch zu moralisieren statt sich für Meinungsvielfalt und Debatte einzusetzen.

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«In den vergangenen zwei Jahren konnte man sich nur wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit der Grossteil der Linken die rigorosen staatlichen Corona-Massnahmen unterstützte. Wer berechtigte Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Massnahmen äusserte, wurde kurzerhand in die rechte Ecke gestellt.» Damit bringen die Mitglieder des links-feministischen Netzwerks «Linksbündig» Besorgnis und Erstaunen zum Ausdruck, mit dem sie nicht allein dastehen. Formiert hat sich «Linksbündig» mit dem Anliegen, all jenen Linken eine Plattform und Öffentlichkeit zu bieten, die Zweifel an der staatlichen Corona-Politik haben und diese aus einer explizit linken Perspektive hinterfragen.

«Wir haben schon vor der Pandemie die Sparmassnahmen im Gesundheitsbereich kritisiert und darauf hingewiesen, dass diese früher oder später zu einer Katastrophe führen werden», sagt Mitgründerin Tove Soiland, Historikerin und Feministin. «Das hat sich in der Covidkrise bestätigt.» Sie streitet nicht ab, dass Covid gefährlich sein kann. Doch die drastischen Massnahmen, die Regierungen weltweit ergriffen haben, um das Problem in den Griff zu bekommen, wären nicht nötig gewesen, wenn das System nicht seit Jahren kaputtgespart und eine gezielte Personalschrumpfung vorangetrieben worden wäre.

«Es hat mich sehr erschreckt, dass sich die meisten Linken vorbehaltlos hinter den Staat stellten und proklamierten, wir seien moralisch schlechte Menschen, wenn wir die Massnahmen hinterfragen – dabei machten wir geltend, dass hier die Bevölkerung den Preis für eine vollkommen verfehlte Gesundheitssparpolitik zu zahlen hat. Es hätte andere und unseres Erachtens wirkungsvollere Massnahmen als zum Beispiel Lockdowns gegeben. Wir stellten von Anfang an die Frage, warum die Schäden der Massnahmen für die Linke so gar kein Thema sein soll. Schliesslich ist es in der Vergangenheit immer eine wichtige Aufgabe der Linken gewesen, für die Pluralität der Meinung und die Debatte einzutreten.» Das Moralisieren sei an Stelle der gesellschaftspolitischen Analyse getreten, kritisiert Soiland. Und genau das will man bei «Linksbündig» aufarbeiten.

Das Netzwerk ist anfangs 2022 gegründet worden und hat Grundlagentexte zu Themen wie Totalitarismus, Solidarität, Wissenschaft und Demokratie erarbeitet, die als Inputs dienen sollen. Ziel ist, die Corona-Politik historisch einzuordnen und darüber zu debattieren, welche linken Forderungen daraus abzuleiten sind. Ab November führt «Linksbündig» im Zürcher Volkshaus unter dem Titel «Offene Debatten. Gegen totalitäre Tendenzen des Massnahmenstaates» eine Veranstaltungensreihe durch, bei denen kritisch über die Coronapolitik diskutiert werden soll und darf.

«Eine linke Perspektive stellt immer auch die Frage, wer von solchen Prozessen profitiert», heisst es auf der Website. In Fall der Coronakrise sind das unter anderem Konzerne aus der Tech-, Finanz- und Pharmabranche – so viel steht für «Linksbündig» fest: «Die Pandemiemassnahmen stellen eine forcierte Umverteilung des Reichtums von unten nach oben dar und zeigen klar und deutlich, wer diese Krise bezahlt: Unterprivilegierte und die lokale Wirtschaft im reichen Westen; auf globaler Ebene die Länder des Südens und ihre Bevölkerung.»

Die Covid-Massnahmen reihen sich in eine Politik ein, die Kapitalismus und Neoliberalismus fördert, gibt Soiland zu bedenken. Dass die Linke plötzlich die Seite gewechselt habe und diese Förderung unterstütze, sei eine politische Katastrophe. «Wir wurden aus linken und feministischen Kreisen auf vollkommen unsachliche Weise kritisiert. Inhaltliche Gegenargumente zu unseren Inputs haben wir eigentlich keine zu hören bekommen – dafür Anschuldigungen, Diskreditierungen und sogar physische Bedrohungen. Eine regelrechte Hexenjagd.»

Dies hat sogar so weit geführt, dass einige Vorstandsmitglieder von «Linksbündig» auf der Website ihren Namen und ihr Gesicht nicht zeigen können. Auch, weil sie täglich mitbekommem, was mit denen passiert, die sich exponieren: Mobbing an der Arbeitsstelle durch Kolleginnen, Drohung des Stellenverlustes durch den Chef, Anschwärzungen von nächsten Freundinnen. «Es gibt viele Linke, die sich nicht mehr getrauen, sich kritisch zu äussern», betont Soiland. «Denn wer es wagt, vom Narrativ abweichende Meinungen einzubringen oder sich gar weigert, sich impfen zu lassen, gilt als unsolidarisch, als rechts oder als Verschwörungstheoretikerin. Doch diese rechte Etikettierung, an der sich auch die Linke mit ihrem Moralisieren beteiligen, entspricht einfach nicht der Wahrheit.»

Eine Studie der Uni Basel hat zum Beispiel gezeigt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der massnahmenkritischen Demonstrationen in der Schweiz deutlich weniger rassistische Ansichten vertreten als der Durchschnitt der Bevölkerung. So heisst es in der Studie: «Der Nationalsozialismus wird seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung, es finden sich kaum sozialdarwinistische Haltungen und eine grosse Mehrheit will es Menschen aus anderen Ländern erlauben, ins Land zu kommen und dauerhaft hier zu leben. Mehr als 70% sind gegen eine Privatisierung der wichtigsten öffentlichen Dienstleistungen, nur 28% gegen die Umverteilung der Einkommen.»

Die Linke dagegen nimmt eine seltsame Position ein und vertritt die Meinung, mit den Corona-Massnahmen würden die Staaten den Schutz der Menschen priorisieren und die Wirtschaft als zweitrangig betrachten. Doch um was für eine Art von Schutz handelt es sich, wenn weltweit ein Grossteil der Bevölkerung seiner Existenzgrundlage beraubt wird? Die Welternährungsorganisation schätzt, dass durch die Corona-Massnahmen weltweit 70-161 Millionen mehr Menschen hungern, und laut der UNO leben 140 Millionen Kinder zusätzlich in Armut. «Um welches Leben also geht es, wenn von der Rettung von Leben» die Rede ist? Nur um weisses?», fragt «Linksbündig» auf seiner Website. «Ist das etwa kein Rassismus? Und dennoch soll es rechts sein, solche Fragen zu stellen – und nicht vielmehr links?»

«Linksbündig» ist sozusagen eine Plattform für gestrandete Linke, die seit der Coronakrise ihre politische Heimat verloren haben. Das Kollektiv freut sich über neue Mitglieder, denn das Ziel ist es, gemeinsam eine kritische und explizit linke Stimme in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Als aktives oder passives Vereinsmitglied kann man entweder anonym oder mit vollem Namen mitwirken. Der minimale Mitgliederbeitrag beträgt 5 Franken, die Richtgrösse sind 100 Franken.

Man darf die reichhaltige Website aber auch nutzen, um Inputs für eine Reflexion aus einer – nötigen – anderen Perspektive einzuholen. In den verschiedenen Texten, die online bereitstehen, begegnet man wichtigen Fragen wie die nach der Solidarität, die im Corona-Kontext sehr einseitig gestellt wurde. «Waren die Befürworter*innen der harten Massnahmen etwa solidarisch mit den Menschen, die in Pflege- und Altersheimen isoliert und alleine ausharren mussten? Mit denen, die in prekären Wohnverhältnissen leben und dadurch auf wenigen Metern faktisch eingesperrt wurden? Mit den Kindern, die psychisch unter den Massnahmen litten und seit 2021 kaum mehr ein Therapieangebot in nützlicher Frist fanden, geschweige einen Therapieplatz in der Psychiatrie? Mit dem Pflegepersonal, das durch die Pandemie zur Profitmaximierung der Spitäler geopfert wurde? Mit Menschen, die einen Impfschaden erlitten haben? Oder mit denjenigen, die durch die Lockdowns ihre Jobs verloren haben?»

www.linksbuendig.ch
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Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY