«Wir haben heute die Autonomie in allen wichtigen Lebensbereichen verloren»

Andreas Beers versteht sich selbst als Teil der Natur. Der biologisch-dynamische Landwirt setzt sich seit vielen Jahren für eine Landwirtschaft ein, die die Natur gesamthaft betrachtet. Dabei geht es ihm nicht nur um die Flächen, die für Nahrungsmittel bearbeitet werden, sondern auch um die Umgebung und um den Menschen – und um die Mitgestaltung im Leben.

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«Wenn man mit dem Zug von Zürich nach Genf fährt: Was sieht man da auf den Ackerflächen? Ein grosser Teil ist Mais, Futtergerste und Kunstwiese, die für Tierfutter angepflanzt werden. Nur ab und zu findet sich ein Gemüsefeld. Mit dem, was in der Schweiz auf den Feldern zurzeit angepflanzt wird, könnte man uns Menschen hierzulande nie und nimmer ernähren. Dann, ein Beispiel, im Winter werden Erdbeeren aus Israel importiert. Das ist doch birnenweich. Apropos Importe, die meisten Bioprodukte kommen aus dem Ausland. Und: Wir haben keinen einzigen Tropfen Trinkwasser mehr, der nicht kontaminiert ist.»

Das sind Worte von Andreas Beers. Der 56-Jährige lebt für die Natur und mit ihr. Und macht sich Sorgen darüber, dass in der heutigen Zeit «der Bezug zur Erde sehr verloren gegangen ist». Nicht nur, dass viele gar nicht mehr Bescheid wüssten, wie sich die Natur verhält und wie es mit der Landwirtschaft in der Schweiz steht. Sondern auch dass viele Menschen die Natur nur noch als Kulisse erlebten, wo gejoggt oder Fahrrad gefahren wird. Was er dagegen als positiv empfindet: «Die Menschen nehmen mehr und mehr wahr, dass mit der Natur etwas nicht stimmt.» Notabene mit unserem einzigen Lebensraum, fügt der diplomierte biologisch-dynamische Landwirt an, «wo unsere Nahrungsmittel wachsen».

Beers ist in Süddeutschland geboren, lebt seit über zwanzig Jahren in der Schweiz. Sein ganzes Leben schon widmet er sich der Landwirtschaft und hat dabei nie die Frage aus dem Blick verloren: «Wie können wir die Erde bearbeiten, sodass die Natur gesund bleibt?» Die biologisch-dynamische Landwirtschaft ist in den 1920er-Jahren entstanden. Dies, weil sich Landwirte in Deutschland Sorgen machten, dass in der konventionellen Landwirtschaft sowohl Erde und Saatgut als auch Tiere degenerieren. «Also suchten sie Lösungen, um Landwirtschaft und die Natur als Gesamtes zu schützen und zu bewahren», so Beers, der gegen das Einsetzen von Pestiziden ist. Ein zentraler Aspekt der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise ist, dass jeder Hof individuell gestaltet wird, indem Standortbedingungen, Landschaft, Tiere und Menschen in das Konzept einbezogen werden.

Die Umgestaltung von einem konventionellen Betrieb in einen biologisch-dynamischen, war denn auch der Grund, wieso Beers 1998 von Deutschland nach Zürich reiste. Seither hat er in der Schweiz, aber auch in anderen europäischen Ländern immer wieder Höfe auf nachhaltige Betriebe umgestellt. Seine eigenen ohnehin, und bei anderen Betrieben half er auf Wunsch mit. Wie erst eben in Frankreich, nahe der Pyrenäen. Zudem bildete er in all diesen Jahren viele Lehrlinge darin aus. «Ich versuche seit jeher in der Landwirtschaft etwas zu verändern.» In seinem beruflichen Werdegang habe er sich nie gefragt: «Wie viel Geld kann ich verdienen pro Hektar Land, sondern wie viele Menschen können von einem Hektar leben.»

«Diese Kultur-Landwirtschaft , die ich beschreibe, beruht auf einem Zusammenwirken.»

Beers treibt aber noch viel mehr um, und seine Anliegen und Gedanken hat er unter einem neuen Begriff zusammengefasst: Kultur-Landwirtschaft. «Mit dieser Form von Landwirtschaft meine ich mehr als nur die praktische Umsetzung dessen, was Landwirtschaft ist. Es geht mir unter anderem ebenso um Entwicklungspotential, Infrastruktur oder sozial-ökologischen Wohnlebensraum. Diese Kultur-Landwirtschaft, die ich beschreibe, beruht auf einem Zusammenwirken.» Wo Mensch, Tier, Natur, die gesamte Welt zusammen betrachtet werden. «Der Raum, der nicht direkt für die Lebensmittelproduktion genutzt wird, ist ja Kulturgut aller Menschen, nicht wahr?» Genau dieser Raum aber werde sukzessive zerstört. Kurzum: «Das ganze System muss anders gedacht werden.»

Letztes Jahr gab er im Eigenverlag zum Thema Kultur-Landwirtschaft eine Broschüre heraus. 3000 Exemplare. Viele davon verteilte er in Städten wie Bern, Luzern, Zürich oder Solothurn selbst, legte sie in die Briefkästen. Und die Broschüre fand Anklang. In fast 200 E-Mails antworteten ihm interessierte Menschen, wollten mehr erfahren, mit Beers in den Dialog treten.

Dies motivierte ihn umso mehr, an seinem Buchprojekt «Was wir zum Leben brauchen» weiterzuschreiben. Darin setzt er sich mit den Lebensgrundbedürfnissen auseinander, die jeder Mensch hat. Dazu zählt er das Recht auf Bildung oder aufs Wohnen. «Wir haben heutzutage die Autonomie in allen wichtigen Lebensbereichen verloren, können nicht mehr mitbestimmen. Oder haben Sie etwa mitentschieden, ob der Lehrplan 21 für Ihr Kind eingeführt werden soll?»

Wenn man die Welt betrachte, so Beers, merke man doch, dass es überall brodelt. Die Frage sei nur, was brodelt genau? Nun: «Es brodelt eine unbewusste, nicht klar formulierbare Unzufriedenheit. Und die rührt daher, behaupte ich, dass der klar denkende Mensch fühlt, wie ihm die Autonomie sukzessive von den wichtigsten Punkten in seinem Leben entzogen worden ist. Dieses leichte Unbehagen zieht sich durch alle Generationen durch.»

«Wir sind nicht nur Teil der Natur, sondern sie ist Teil von uns. Um uns ganz selbst zu verstehen, müssen wir uns selbst in anderen Lebewesen wiedererkennen», zitiert Beers den Biologen und Philosophen Andreas Weber. Das ist denn auch Beers grösster Wunsch: dass die Menschen aufwachen – für die Natur.

Wir vom Zeitpunkt freuen uns darüber, dass er ab diesen Samstag alternierend mit anderen Kolumnisten und Kolumnistinnen regelmässig für uns schreiben wird. Dabei wird er immer wieder auf die Frage «Was wir zum Leben brauchen?» Antworten suchen und geben.


Die Broschüre Kultur-Landwirtschaft kann hier heruntergeladen oder bei Beers in Papierformat bestellt werden