Unsere Haustiere, ein beseeltes Kulturerbe – neue Wege für eine gemeinsame Zukunft

Über Tausende von Jahren hinweg waren die Haustiere treue Begleiter des Menschen. Ihre Evolutionsgeschichte hat sich dadurch grundlegend verändert. Aus der Serie: «Der Mensch und seine Haustiere, die Geschichte einer Jahrtausend alten Beziehung». Teil 1.

© Mia Leu

Dunkel glänzen ihre Augen aus der Tiefe ihrer Seele. Sie schaut nicht mit den Augen – mit ihrem ganzen Wesen erlebt sie unsere Welt. Ich halte Antigone die schwarz-weiss gescheckte Kuh an einem Strick. Sie reibt ihren Kopf an meiner Schulter, leckt mir mit ihrer rauen Zunge über die Hand. Aus ihren Nüstern dampft es warm in den kalten, weiss gekachelten Raum. Der Dorfmetzger setzt ihr den Bolzenschussaparat auf ihre Stirn, dort wo ihr weisser Haarwirbel leuchtet: Ein lauter Knall und Antigone sinkt sekundenschnell zu Boden. So endet ihr Leben nach 21 Jahren, ein langes friedliches Kuhleben – sie hat mir bis zu ihrem Tod vertraut.

Wer mit Haustieren gelebt und gearbeitet hat, weiss, wie es sich anfühlt, dieses unglaubliche Vertrauen, das sie uns entgegenbringen. Diese besondere Art des Vertrauens zwischen Menschen und Haustieren ist das Erbe einer Jahrtausend alten Beziehung. Die besondere Beseeltheit unserer Haustiere, die sich darin zeigt, unterscheidet sich wesentlich von jener der Wildtiere. Dieser Unterschied ist die Folge ihres Lebens, Seite an Seite im Sozialgefüge des Menschen. Den Haustieren wie den Wildtieren gebührt deshalb eine wesensgerechte Zuwendung.

Das Pferd fristet ein kurioses, dekoratives Dasein bei betuchten Pseudobauern.

Unsere heutige Welt hat sich diesbezüglich fundamental geändert. Die Haustiere wurden Stück für Stück aus unseren sich auflösenden organischen Gemeinschaftsformen entlassen. Wir leben nicht mehr mit, sondern gegen die Natur. Unsere Ansichten und Vorstellungen gegenüber den Haustieren klingen heute unter anderem so: Die Kühe und Schweine sind Klimakiller, Schafe und Ziege sind ökotaugliche Rasenmäher für landschaftspflegende Massnahmen, das Pferd fristet ein kurioses, aber doch dekoratives Dasein bei betuchten Pseudobauern.

Im öffentlichen Diskurs über Tierhaltung, Klimawandel und Umweltschutz zeigt sich ein realitätsfremdes, emotional aufgeladenes Schwarzweiss-Denken. Dies lenkt von den wahren Ursachen der Missstände ab. Unsere Haustiere sind zu buchhalterischen Faktoren mutiert. Das Resultat ist Massentierhaltung: Das Tierwohl wird missachtet, die Natur wird massiv belastet. Brauchen wir also unsere Haustiere noch? Ich behaupte ja, denn wir haben noch eine lange gemeinsame Zukunft vor uns. Und dies nicht wegen der Wurst auf dem Grill. Wie könnte also der nächste Schritt auf diesem Weg dahin aussehen?

Unsere Haustiere als beseelte Wesen wertzuschätzen, wäre der erste Schritt auf diesem Weg. Wir müssen ihre Stellung innerhalb unserer gemeinsamen kulturgeschichtlichen Entwicklung anerkennen und würdigen. Dies bildet die Grundlage in der Auseinandersetzung mit den damit verbundenen ethischen Fragen. Zum Beispiel die Frage nach der Form ihrer Nutzung und im Besonderen die Frage nach der Tötung unserer Haustiere, die unvermeidbar damit verbunden ist. Ihr Leben beginnt mit der Geburt und endet mit ihrem Tod. Das Wesentliche dabei ist, wie sich diese Dreiheit, sprich Geburt, Leben und Tod, auf ihr Seelenleben auswirken. War es friedlich oder qualvoll? Denn das Seelische existiert weiter. Haben wir dieses Faktum einmal verinnerlicht, sprich im Herzen gefühlt, und durch ein wesensgemässes Studium der Natur erkannt, dann eröffnen sich ungeahnte neue Wege für eine gemeinsame Zukunft.

 

Bereits erschienen:
Der Mensch und seine Haustiere, die Geschichte einer Jahrtausend alten Beziehung

 

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.

«Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein grosser Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein». (Der Panter im Jardin des Plantes, Paris. Rainer Maria Rilke)