Vandana Shiva: «Regenwürmer sind weit höher entwickelt als Düngemittelfabriken»

Auf dem gestrigen UNO-Welternährungsgipfel in New York wurde über die Reform des weltweiten Lebensmittelsystems debattiert. Auf höchster politischer Ebene realisiert man offenbar langsam, wie viel sozialen und ökologischen Schaden die industrielle Nahrungsmittelproduktion anrichtet. Für die indische Aktivistin Vandana Shiva ist das alter Kaffee: Die Naturwissenschaftlerin kämpft schon seit Jahrzehnten für den lokalen biologischen Anbau, der die Biodiversität fördert, und gegen Saatgut-Monopole. Aus der Serie «Aussergewöhnliche Frauenbiografien».

© Drona Chetri / Navdanya

Wenn Vandana Shiva über Ernährung, die Machtgier von Konzernen und das Wunder der natürlichen Biodiversität spricht, sprüht sie nur so. Vor Entrüstung, vor Begeisterung – und vor Zahlen und Fakten. «Die so genannte Grüne Revolution hat in Indien biodiverse Systeme zerstört und durch Monokulturen ersetzt, die zehn Mal mehr Wasser verbrauchen und einen viel tieferen Nährwert haben», sagt sie im Interview zu ihrem Buch «Wer ernährt die Welt wirklich?» Dieses ist seit Juni auch in der deutschen Übersetzung erhältlich.

Um die Nahrungsmittelsicherheit zu verbessern, sind in den 60er Jahren in verschiedenen Ländern des Globalen Südens grossflächige Monokulturen angebaut worden. Doch die Flächen, die für Reis und Weizen benötigt wurden, haben kleinbäuerliche Anbaumethoden mit grosser Biodiversität verdrängt, und die Folgen für die Umwelt waren drastisch. «Heute ist unser Wasser verschwunden, unsere Böden sind vergiftet und die Pestizide haben zu einer Krebs-Epidemie geführt», sagt Shiva.

Die Publikation der indischen Umweltaktivistin und Globalisierungskritikerin ist eine Abrechnung – mit der industriellen Landwirtschaft, die uns vorgaukelt, die Welt zu ernähren, während sie nur auf Profit aus ist. Mit der Arroganz der Konzerne, die mit Monopolen und Patenten operieren. Und mit dem Rassismus, der zur Annahme geführt hat, dass ausschliesslich die global gehandelten Güter Lebensmittel sind – und dass Kleinbauern unwissend sind, weil sie keinen Universitätsabschluss haben. Doch Shiva appelliert nicht nur an moralische und ethische Ideale. Sie appelliert vor allem auch an die Vernunft, die beweist: Die chemikalisierte Produktion von Nahrungsmitteln ist widersinnig und kontraproduktiv.  «Die industrielle Landwirtschaft ist hochgradig ineffizient», betont sie. «Sie produziert nur 28 Prozent der Nahrungsmittel weltweit, verbraucht aber 75 Prozent aller Ressourcen.»

«Die industrielle Landwirtschaft ist hochgradig ineffizient.»

Geboren 1952 im nordindischen Uttarakhand, studierte Vandana Shiva Physik, Naturwissenschaften sowie Wissenschaftsphilosophie – ihr Vorbild war Albert Einstein. Bereits während ihres Studiums engagierte sie sich in Umweltbewegungen, unter anderem gegen die Abholzung von Wäldern. Und zwar nicht aus reinem Idealismus, sondern weil sie die Auswirkungen der Umweltzerstörung von ihrer eigenen Haustür miterlebte: Der Moment, in dem sie ihren Lieblingsfluss auf Grund der Abholzung ausgetrocknet vorfand, dürfte ein Schlüsselerlebnis gewesen sein. Sie beschloss, sich von der reinen Wissenschaft abzuwenden und ihr Leben fortan dem Engagement für Umwelt, traditionelle Landwirtschaft und Frauenrechte zu widmen. Mut und kritischen Geist hatte sie bereits von ihren Eltern gelernt: Beide waren Teil der indischen Unabhängigkeitsbewegung gewesen; ihre Mutter eine Anhängerin von Gandhi und Feministin.

1987 rief Vandana Shiva die Bewegung «Navdanya» ins Leben, die in den letzten drei Jahrzehnten weltweit von sich reden machte. Die Organisation engagiert sich für den Schutz der Artenvielfalt und lehrt ökologische Anbaumethoden. Sie umfasst eine von Frauen geführte Bio-Farm, eine Schule und ein Kollektiv, das mehr als 70’000 Bäuerinnen und Bauern vereinigt. Unter anderem werden Saatgut-Bibliotheken betrieben, welche die regionale Biodiversität erhalten und gleichzeitig Kleinbäuerinnen und -bauern mit Saatgut versorgen. Damit bietet Shiva Agrarmultis wie Bayer-Monsanto die Stirn, gegen deren Melonen-Patentierung sie sich zusammen mit der Schweizer NGO Public Eye eingesetzt hat (der Zeitpunkt berichtete).

Vandana Shiva ist nicht nur deshalb eine beeindruckende Frau, weil sie unermüdlich aktiv ist. Sie schafft es, gleichzeitig auf mehreren Ebenen zu arbeiten: Die mehr als 20 Bücher, die sie veröffentlicht hat, bilden eine empirisch-wissenschaftliche Grundlage für ihr Engagement gegen ein System, das immense soziale und gesundheitliche Schäden anrichtet. Ihr Kampf gegen die Macht der Konzerne und für eine lokale biologische Landwirtschaft bewegt nicht nur die örtliche, sondern auch die internationale Politik. Und ihre Landwirtschaftsprojekte sind ganz konkret, ganz an der Basis, und eine grosse Hilfe für tausende von Kleinbauern. Sie selbst lebt bis heute auf dem Bauernhof ihrer Familie.

2019 rief sie anlässlich einer Veranstaltung in Hamburg zum Thema Klimakrise und Machtstrukturen zum zivilen Ungehorsam auf. «Alles beginnt im Kleinen, und jeder einzelne Mensch hat Verantwortung für den Planeten Erde. Wir können nicht ohne einander», fasste sie ihre Vision zusammen. Frauen wie Shiva mögen der Albtraum der patriarchal geprägten Wirtschaftswelt sein, die sie als Wurzel der Umweltzerstörung sieht, weil sie gewalttätig mit der Erde umgeht. Dennoch hat Shiva unzählige Preise und Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Alternativen Nobelpreis, den Global 500 Award der UNO und die Auszeichnung als «Hero for the Green Century» des Time-Magazins. Acht Universitäten in verschiedenen Ländern haben ihr die Ehrendoktorwürde verliehen.

Zur Website von Navdanya (englisch)
 

CoverBuchtipp:
«Wer ernährt die Welt wirklich? Das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie.» Verlag Neue Erde 2021.
ISBN 978-3-89060-798-6

Mehr Infos und Bestellungen

 

 

 

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Aussergewöhnliche Frauenbiografien – bisher erschienen:
Loïe Fuller, die Schlangentänzerin
Malala: «Ich bin 66 Millionen Mädchen»

Simone Biles – die unsichtbare Medaille
Gertrud Woker, die vergessene Berner Heldin
Josephine Baker – eine Frau, ein Plan

Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY

Kommentare

Nein.......

von Walter Roth
Ich war in Indien und bin dort gereist wie die Inder selber es tun, habe auf  mit Seilen beflochtenen Holzgestellen und mit einem Tuch darauf, geschlafen, habe die Leprösen gesehen, die Kastraten und die Affen die alles klauen.....  Damals gabs auch jene Werbung vor jeder kleinen Stadt, das ihr Krankenhaus Ultraschall habe..... wir wissen wozu. Um die Mädchen abzutreiben. Damals habe ich für 5 Wochen gerade mal 480 Franken verbraucht...... schon 1992 kaum vorstellbar wenig. Damals sind noch alle Züge mit Dampflokomotiven gefahren, 300km in 12 Stunden und beim aussteigen musste man erst mal den Russ der Dampflock aus den Haaren schütteln. Also, gerade eine Inderin sollte wissen wie es um ihr Land steht. Die werden China bald überholt haben was die Bevölkerungszahlen angeht. Dabei hatten die 1949 noch um die 250 Millionen...... nun werden es bald 1.4 Milliarden sein. Biolandbau aber braucht wesentlich mehr Fläche als der moderne Landbau mit seinen Düngemitteln, den Pestiziden und Maschinen. Beim Bio-Weinbau sind es 100% mehr Fläche für die selben 100% Ertrag. Bei Getreide ca. 50% mehr, beim Reis so ich es noch im Kopf habe, ca. 40% mehr Fläche. Weinbau gibts in Indien wohl kaum, aber Reis ist ein wichtiges Produkt dort. Biolandbau wäre eigentlich gut, aber er liefert niemals die Menge wie es der moderne Landbau schafft. Die Schweiz produzierte einst ja auch nur Bio, es gab nichts anderes, aber das Wort selber war unbekannt. Um 1875 entstanden die ersten Landwirtschaftlichen Forschungsanstallten und Schulen für Bauern. Damit stieg die Produktion stetig an. Um 1900 arbeiteten ca. 40% der Schweizer in der Landwirtschaft und konnten damit nur gerade so die 3.2  Millionen Schweizer ernähren. Heute liegt die "Ernährungs-Quote" der Schweiz aus Selbstversorgung bei nur noch 60%, wobei noch ca. 2.6% der Schweizer in der Landwirtschaft tätig sind. Biolandbau ist in der Schweiz ok, aber wenn alles es tun .......sinkt die Selbstversorgungsquote auf vielleicht 30%. Also, ich würde der Frau ja gerne zustimmen, kann es aber nicht. Denn, wie sollen die genug erzeugen für 1.4 Milliarden Menschen, wobei das ja nicht das Ende ist, es werden auch 2 und mehr Milliarden sein..... ums Jahr 2100. Natürlich, die Flächen sind noch vorhanden, aber es sind eben die Flächen die Sumpfgebiete sind, Flussdeltas, Wälder, Naturparks für Tiger und andere Tiere, die müssten dran glauben. Aber diese Flächen sind auch wertvoll...... kommen mit den Rezepten der Frau aber massiv unter Druck. Was die Frau andenkt ist nichts schlechtes, aber angesichts der Lage unrealistisch. Ich bin übrigens selber auf dem Bauernhof aufgewachsen.....