Keine andere Initiative lässt die Wogen so hoch schlagen wie die Trinkwasserinitiative, die Franziska Herren aus dem Bernischen Widlisbach lanciert hat. Die selbstständige Unternehmerin im Bereich von Umweltprojekten erhielt während der Abstimmungskampagne anonyme Morddrohungen gegen sich und ihre Familie. Seither gibt sie nur noch Interviews via Zoom. Würde die Initiative nicht angenommen werden, sei die Bevölkerung nun zumindest informiert, wie es mit dem Trinkwasser und den landwirtschaftlichen Böden in der Schweiz aussehe, sagt die 54-Jährige. Sie ist zuversichtlich, ein Richtungswechsel in der Landwirtschaft steht an.

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Viel wurde über die Trinkwasserinitiative in den letzten Wochen berichtet und diskutiert. Sehr konträre Aussagen. Wo liegt nun die Wahrheit?

Ja, die Gegner diskutierten vor allem über den Initiativtext. Dass man am Ende beim Text landet und nicht bei der Problematik, das zeigt deren Hilfslosigkeit. Wir haben eine Landwirtschaft, die wir subventionieren, die jedoch keine Umwelt- und Klimaziele erreicht und das Gewässerschutzgesetz nicht einhält. Das ist gesetzeswidrig. Die Agrarpolitik will genau diese Probleme nicht angehen, sondern sie vertuschen. Dies, weil die Trinkwasserinitiative fordert, dass Betriebe, die die Ziele und Gesetze nicht einhalten, nicht mehr subventioniert werden sollen. Die Gegner verunsichern in ihrem Diskurs die Bevölkerung wie immer mit der Abhängigkeit vom Ausland und mit hohen Preisen, die bei Annahme der Initiative auf uns zukommen würden.

Wir haben aber ein riesiges Problem in der Schweiz, mit überhöhten Nutztierbeständen, die wir nur mit Importfutter ernähren können. Der Initiativtext ist so formuliert, dass es natürlich möglich ist, dass Bäuerinnen und Bauern schweizweit untereinander Futtermittel austauschen. Das hat sogar der Bundesrat bestätigt, man kann Betriebsgemeinschaften bilden. Aber die Diskussion ist so ausgeufert, dass nun Bäuerinnen und Bauern Angst haben, sie könnten nicht einmal mehr Heuballen untereinander austauschen. Aber es ist genau das Gegenteil der Fall: Durch die Annahme der Trinkwasserinitiative werden wir weniger vom Ausland abhängig sein, weil wir weniger Futter, Pestizidantibiotika, Antibiotika und Erdöl importieren müssen.

Was wir mit der Trinkwasserinitiative verlangen, müsste eigentlich seit Jahrzehnten die Politik umsetzen. Nochmals zusammengefasst: Wir haben viel zu hohe Stickstoffüberschüsse, wir schädigen das Klima mit überhöhten Tierschutzbestände, die Biodiversität wird zerstört und über eine Million Menschen trinken pestizidbelastetes Trinkwasser über dem Grenzwert, das nach Gesetz gar nicht mehr abgegeben werden dürfte. Das alles finanzieren wir mit unseren Steuergeldern mit.

Die Landwirtschaft hat einen riesigen Einfluss auf die Wasserqualität. Denn auf den Böden, die sie nutzt, entsteht durchs Versickern des Regens unser Trinkwasser. Die Böden sind der grösste Wasserspeicher. Wie also die Böden behandelt werden, etwa mit Pestiziden oder Antibiotika, hat Einfluss auf unsere Gesundheit.

Die NZZ berichtete von «schwerwiegende Verfassungskonflikte bei Annahme der Pestizid- und Trinkwasserinitiative». Sehen Sie das auch so?

Nein, das ist keineswegs wahr, die Initiative ist umsetzbar. Davon sind auch die GLP, SP, Grüne und EVP sowie über 200 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen überzeugt sowie Fachleute von 4aqua, einer Interessensgemeinschaft, die sich für uns einesetzt. Und ich kann allen versichern, dass man die Initiative so moderat wie möglich umsetzen wird. Aber klar, sie hat Konsequenzen. Sie wird auch einen neuen Markt kreieren, viele Arbeitsplätze schaffen. Wissen Sie, das derzeitige Szenario kommt mir vor wie damals, als man das Rauchverbot in den Restaurants einführte. Da wollten die Gastwirtschaften alle zutun. Und jetzt – zehn Jahre später – schüttelt man den Kopf, dass man jemals in Restaurants rauchen durfte und dabei Kinder und Menschen, die nicht rauchen, schädigte. Dasselbe wird im Bereich der Landwirtschaft geschehen. Es ist eine Entwicklung, die nicht mehr zu stoppen ist. Die Initiative hat ganz klar Defizite der Landwirtschaft auf den Tisch gelegt. Und diese Probleme bestehen wegen der Agrarpolitik und nicht wegen den Bäuerinnen und Bauern – sie bekommen ja die Erlaubnis, die Mittel wie Pestizide einzusetzen.

Das ist ein Systemwechsel, den wir angehen. Ich bin überzeugt, das geht keine zwanzig Jahre, und wir schauen zurück und sagen: ‹Jesses Gott, wieso haben wir uns gegen eine gesunde Landwirtschaft so sehr gewehrt?› Ich will es nochmals betonen, die Trinkwasserinitiative hat an jene gedacht, für die der Wechsel nicht einfach sein wird. Also auch an diejenigen, die beispielsweise grosse Mastställe gebaut haben. Für sie stehen Investitionshilfen und Beratung bereit. Ebenso im Bereich der Forschung. So kann man dann gemeinsam schauen, wie man künftig etwa Mastställe nutzen kann, in denen keine Tiere mehr drinnen sind. Gewächshäuser wären eine Idee.

Die Schweiz erlebt einen Abstimmungskampf, den sie so nicht kennt. Vor rund einem Monat haben sie eine Morddrohung erhalten. Und nun?

Ich bin ja schon lange mit der Trinkwasserinitiative unterwegs. Im Jahr 2019 reiste ich durch die ganze Schweiz, hielt zahlreiche Referate bei Bäuerinnen und Bauern. Da lernte ich bereits, mich zu wehren, abzugrenzen und Bedingungen zu setzen, damit ich überhaupt noch an Anlässe teilnehme. Etwa, dass man mich nicht mehr beschimpfen darf. Die eine oder andere Wutdrohungen wie «Ich bringe dich um» oder «Wenn Sie meine Kuh wären, würde ich sie grad totschlagen» haben ich schon immer bekommen. Aber dieser anonyme Brief jetzt war so bedrohlich, dass ich entschied: Ich will mich schützen und nicht mehr öffentlich an Anlässen mit Bauern auftreten. Die Drohung war sehr präzis ausformuliert. Mir ging es kalt den Rücken runter.

Nun arbeite ich in den letzten Tagen des Abstimmungskampfs viel von zu Hause aus. Und wenn die Initiative nicht angenommen werden würde, so hat die aktuelle Diskussion doch sehr viel bewirkt. Wir von der Trinkwasserinitiative konnten die Bevölkerung sensibilisieren und ihr aufzeigen, wie die Schweiz ihre Lebensmittel produziert und was für Wasser wir trinken. Wird die Initiative angenommen, dann können wir bereits in zwanzig Jahren sagen, dass wir viel erreicht haben. Man darf nicht vergessen, die Schadstoffe bleiben Jahrzehnte im Grundwasser. Erfreulich dagegen ist: Die Böden und die Biodiversität würden sich bei einem Ja am kommenden Sonntag unmittelbar regenerieren können.