Er hat sich als Soziologieprofessor und Buchautor nicht nur theoretisch mit dem Thema Armut auseinandergesetzt, sondern auch in der Praxis stets Randständige unterstützt. Als Familienvater war er progressiv: Bereits vor 20 Jahren reduzierte er sein Pensum auf 50 Prozent, um am Nachmittag seine Kinder zu betreuen. Von seinen Kollegen an der Universität wurde er deshalb belächelt, und viele kritisierten ihn, weil er auch als Wissenschaftler offen zu seiner politischen Haltung stand. Nun wird Ueli Mäder für sein gesellschaftspolitisches Engagement mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnet.

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Seine Abschlussvorlesung an der Universität Basel trug den Titel «Die Soziologie des Alltags». Bis zu seiner Emeritierung 2016 machte er sich als Professor und Autor zahlreicher Bücher einen Namen in der Schweiz – auch weil er mit seiner politischen Haltung nie hinter dem Berg hielt. In den 70er Jahren war Ueli Mäder Mitgründer der linken Partei POCH, und zehn Jahre lang sass er im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt.

Mäder bezeichnet sich selbst als Sozialist, der gegen soziale Ungerechtigkeit kämpft. Schon in der Schule gab er eine anarchistische Zeitung heraus, später sass er als Dienstverweigerer fünf Monate im Gefängnis. 1975 kletterte er aufs Basler Münster und hängte ein Transparent mit dem Schriftzug «Vietnam befreit!» auf. Auch wenn er sich 2001 aus dem aktiven politischen Leben zurückgezogen hatte, wurde ihm immer wieder vorgeworfen, seine Forschung nach seiner ideologischen Gesinnung auszurichten.

Der heute 70-Jährige kritisiert, dass die finanzgetriebene Politik der letzten dreissig Jahre soziale Ungleichheiten nicht nur verstärkt, sondern auch legitimiert habe. Man dürfe nicht vergessen, dass niemand sein Geld einfach selbst erarbeitet hat, betont er. «Viele Mitmenschen tragen zu unserem Wohl bei. Wir profitieren alle von gesellschaftlichen und familiären Vorleistungen. Dieses Bewusstsein sollte uns dazu veranlassen, möglichst viel mit andern zu teilen, statt vorwiegend eigene Vorteile zu bewirtschaften.»

Mäders Bücher tragen Titel wie «Geld und Macht in der Schweiz» oder «Wie die Reichen denken und handeln». Mäder setzt sich seit Jahrzehnten mit gesellschaftlichen Ungleichheiten sowie Konflikt- und Kooperationsforschung auseinander. Sein Hauptforschungsgebiet jedoch ist die Armut. 1991 leitete er die Basler Armutsstudie, in den 2000er Jahren Nationalfonds-Untersuchungen über Working Poor und Verdingkinder. «Die soziale Brisanz wird sich verschärfen. Doch nicht unbedingt bis auf alle Ewigkeit. Ich setze meine Hoffnung auf die nachfolgende Generation», so das Fazit seiner Abschlussvorlesung.

Den Erich-Fromm-Preis 2022 erhält Mäder nicht nur wegen seinem wichtigen wissenschaftlichen Beitrag, sondern vor allem auch wegen seinem gesellschaftspolitischen Engagement, das laut Jury «dem sozialpsychologischen und dem humanistischen Denken Erich Fromms verbunden ist». Seine gesellschaftskritische Position vertrete er zwar offen, jedoch auf respektvolle Art und Weise und um Brücken zu bauen. Stets bescheiden und selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, habe Mäder immer eine «Perspektive von unten» eingenommen, begründet die Jury ihre Wahl.

So hat er sich auch stets Zeit genommen, um Randständige zu unterstützen – mit Gesprächen, aber auch mit Geld. Da er selbst aus bescheidenen Verhältnissen und aus einer Aussenseiterfamilie stammt, weiss er: Es handelt sich nicht um gescheiterte Existenzen. Sondern um Menschen, die einen schweren Rucksack zu tragen haben. Diese Haltung wurde auch in seiner Familie vorgelebt: Seine Eltern haben zum Beispiel einen Mann, den alle den Dorftrottel nannten, zum Essen eingeladen.

Der Erich-Fromm-Preis wird Mäder am 21. März 2022 in Stuttgart übergeben. Die Auszeichnung geht seit 2006 jährlich an Personen, die sich für den Erhalt oder die Wiedergewinnung des humanistischen Denkens und Handelns im Sinne des berühmten Sozialpsychologen Erich Fromm (1900-1980) einsetzen. Bisherige Preisträgerinnen und Preisträger waren unter anderem Noam Chomsky, Anne-Sophie Mutter und Gesine Schwan.