Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss – oder was ich nicht sehe, das gibt es nicht. Aus der Serie «Warum Pippi Langstrumpf keinen Lockdown braucht – allting nu är bra – eine Spurensuche auf vier Fährten». Fährte 4.

© Andreas Beers

Was unsichtbar ist, berührt uns nicht, oder besser gesagt, es ist uns nicht bewusst. Gedanklich können wir uns das Unsichtbare entweder in allen Variationen vorstellen oder wir denken erst gar nicht darüber nach. Auf meiner Schwedenreise begegnete ich dem Unsichtbaren, unverhofft.

Meine umgetauschten schwedischen Kronen nahm ich wieder mit nach Hause, sie hängen jetzt als Souvenir an meiner Pinnwand. Das Bargeld ist aus dem Alltag in Schweden verschwunden, ohne Kreditkarte geht da gar nichts mehr: Einkaufen, Tanken, Einchecken im Hotel, Restaurant- oder Barbesuch – um Parkscheine zu lösen, benötigte ich sogar Handy und Kreditkarte. Die dafür notwendige Datenmenge ist unvorstellbar gross. Die digitalen Spuren, die wir dabei «freiwillig» hinterlassen, sind es ebenfalls. Über den gigantischen Stromverbrauch schweige ich an dieser Stelle.

«Überwachung, Kontrolle, Abhängigkeit, wie kommst du nur auf solche Gedanken?»

Ein wesentlicher Teil unseres Alltagslebens funktioniert nur noch durch unsichtbare Vorgänge, durch Algorithmen: Energie- und Wasserversorgung, Verkehrsregulation, Geldtransfer, Online-Dating, Satzbau im Office Word, und last but not least die Kameraüberwachung- und auswertung öffentlicher Räume. In Schweden ist dies bis in die letzte Ecke perfektioniert. Und was sagen die Schweden zu diesem algorithmisierten Leben? «Allting nu är bra», zu Deutsch: «Alles ist schon gut», so die Haltung bei Jung und Alt, und weiter: «Überwachung, Kontrolle, Abhängigkeit, wie kommst du nur auf solche Gedanken?» Das ist eine gute Frage, dachte ich bei mir, wie komme ich nur darauf?

Wer die Kontrolle über die private Datenflut und deren algorithmische Verarbeitungssysteme hat, hat grosse Verantwortung. Oder Macht? Der Anteil an künstlicher Intelligenz, der dazu notwendig ist, gehört zum unsichtbaren Anteil dessen, was unser Leben bestimmt. Je weniger wir uns dessen bewusst sind, oder es willentlich verdrängen, desto verantwortungloser verhalten wir uns.

Was im Rahmen der Corona-Pandemie damit organisiert wird, ist: Personen-Tracking, Zertifikate, Regelung der Bewegungsfreiheit im privaten- wie öffentlichen Leben. Was ich im Alltag bei uns als Folge davon erlebe, ist gefühlsmässiger Kontrollverlust, Unsicherheit, Spaltung und Angst bei einem grossen Teil der Menschen. Dies ist keine gute Voraussetzung für kritisches und konfliktfreies Denken und Handeln in einer Gesellschaft. All dies scheint in Schweden kein Thema zu sein: Kein Lockdown, keine politische und mediale Dauerinformierung, keine Einschränkung der Bewegungsfreiheit, keine Verunsicherung, nichts! Liegen dort andere medizinische Einschätzung vor? Sind die schwedischen Politiker verantwortungslos? Bei allem was ich diesbezüglich in Schweden erfahren habe, kann ich diese Annahmen ausschliessen. Was also ist in Schweden anders?

Würde ich nun den ganzen Pandemie-Massnahmen vorsätzliches Handeln zur Durchsetzung legalisierter politischer Machtausübung unterstellen, würde dies einer Dystopie orwellschen Ausmasses entsprechen. Dies sich vorzustellen, ist äusserst unangenehm, und wir wissen ja, wie man das nennt, Verschwörungstheorie. Tu ich es trotzdem, wäre es denkbar, dass Schweden dies alles nicht braucht. Denn die unsichtbare Kontrolle wäre in diesem Fall durch den bargeldlosen Alltag schon umfassend möglich, die Fährte ist lückenlos. Ergo: Pippi Langstrumpf braucht keinen Lockdown mehr. «Allting nu är bra?» Zu deutsch: Alles ist schon gut?

 

Bereits erschienen:
Fährte 1: Astrid Lindgren und das Land meiner Träume
Fährte 2: Stieg Larssons Erbe, ein wahrer Krimi
Fährte 3: Kulturgüter mit Symbolcharakter – eine perfekte Wohlstandsillusion

 

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.

«Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen» (George Orwell)