Ein Gespenst geht um. Das Gespenst heisst 10-Millionen-Schweiz. Durch das Land geht ein Raunen: Jetzt sind es schon 9 Millionen. Bald werden es 10 sein! Das Gespenst wird immer realer. Man redet von ihm wie von einer kommenden Realität, die niemand aufhalten kann.
03. Dez 23
«Waldegg» hiess die Wohngemeinschaft, in die ich einzog und die sich wie alle WGs in jener Zeit nach ihrer Adresse benannte. Kaum war ich dort, wollte ich Elias, meinem ehemaligen Schulfreund, der jetzt das Lehrerseminar absolvierte, von meinem neuen Zuhause erzählen.
28. Nov 23
Der jüngere Mann mit der Lederjacke, der für sich allein weiter vorne im Bus sitzt, hat den Anruf erwartet. Er hat auf dem Display gesehen, wer es ist, und sein Körper hat sich zusammengezogen, nur leicht, aber trotzdem ist für mich offensichtlich, dass der Anruf nichts Gutes verheisst.
22. Nov 23
Irgendwann vor drei Jahren hat es begonnen. Plötzlich hatte ich keine Lust mehr. Keine Lust mehr, zu diskutieren. Über das eine Thema. Ein Gespräch mit einem Verwandten, den ich eigentlich schätze, eskalierte zu einem Streit.
19. Nov 23
«Welche Station kommt als nächste nach Inishbofin?» fragte mich, vielsagend lächelnd, ein Inselbewohner während der Fahrt auf die Insel. «Manhattan», gab er gleich selber die Antwort. Weil die Insel im äussersten irischen Westen liege, sei der nächste Ort in westlicher Richtung New York.
15. Nov 23
Mit dem Palästinensertuch, so könnte man sagen, hat alles angefangen. Schon vor Jahrzehnten. Auf einmal trugen alle gesellschaftskritischen jungen Menschen das schwarz-weisse Halstuch. Und «gesellschaftskritisch» bedeutete damals noch links.
08. Nov 23
Ein am Weltgeschehen interessierter Leser schreibt mir: Siehst du denn nicht, was die Hamas am 7. Oktober getan haben? Ist es da nicht verständlich, dass Israel reagiert hat? Dass die Armee in den Gazastreifen einmarschiert ist, um das Netzwerk der Hamas ein für alle Mal zu zerstören?
05. Nov 23
Ich hatte in Nordirland so viel gesehen und erlebt, dass ich Stoff genug hatte, um zurück in der Schweiz gleich mehrere Reportagen verfassen zu können.
01. Nov 23
Im Fernen Osten, in Myanmar, unbemerkt von der Welt, deren Aufmerksamkeit auf den Nahen Osten gerichtet ist, sitzt Aung San Suu Kyi in einem Haus, das kein Gefängnis ist und doch ein Gefängnis. Das Haus besitzt keine Zellen, sondern richtige Zimmer, es hat Fenster und eine Tür.
25. Okt 23
Es gibt ein Blatt im Blätterwald des Mainstreams, das sich von der Monokultur desselben wohltuend abhebt. Im Wochenrhythmus erscheinend, pflegt es eine traditionell «andere Sicht», die in der jüngsten Gegenwart zu einer existenziellen Notwendigkeit wurde.
15. Okt 23
Am Abend des Ostersamstags betrat ich in Derry das Bogside Inn, das einzige Pub im katholischen Arbeiterviertel, das ich von unserem Aufenthalt im Jahr davor bereits kannte.
11. Okt 23
Wenn diese Zeilen erscheinen, werden sich die Ereignisse erneut überschlagen haben. Auf die vielen Toten in Israel werden noch viel mehr Tote in Gaza kommen.
04. Okt 23
Vor einer Woche habe ich darzustellen versucht, wie unverfroren inzwischen der Staat auch in unserem Land macht, was er will. Was dazu führt, dass die Demokratie zur Fassade wird. Kaum war die Tinte meiner Zeilen getrocknet, sehe ich unsere demokratische Tradition auf andere Weise bedroht.
01. Okt 23
Am folgenden Nachmittag verliess ich Dublin, stellte mich an die Ausfallstrasse in Richtung Norden und hatte nach kurzer Wartezeit bereits Glück. Ein junger Lehrer, der in der Hauptstadt einen Kurs besucht hatte, nahm mich mit bis Dunleer, wo er wohnte.
27. Sep 23
Schon vor längerer Zeit sagte Annalena Bärbock, die deutsche Grüne, die sich «Aussenministerin» nennen darf: «Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gegeben habe: ‹Wir stehen an eurer Seite›, dann will ich das auch einhalten – egal, was meine deutschen Wähler denken.»
20. Sep 23
Eine Wiese, auf der ein paar Kühe weiden, ist ein schönes Bild. Aber wir wissen auch, dass das Bild möglicherweise schon morgen bedroht sein wird. Weil vielleicht morgen schon ein Baugespann auf der Wiese steht. Auch dieses Bild kennen wir. Ein Jahr später gibt es die Wiese nicht mehr.
17. Sep 23
Nach meiner kritischen Beschäftigung mit dem Pestalozzi-Kalender – und der offenbleibenden Frage, ob Pestalozzi wohl seinen Namen dafür entlehnt hätte – musste ich diese Überdosis an Schweiz schnell wieder loswerden. Ich reiste nach Irland.
13. Sep 23
In einer Ecke meines Zimmers, zwischen anderen kostbaren Dingen, steht eine Colaflasche mit arabischer Schrift. Schon längere Zeit steht sie da. Ich nehme sie nie in die Hand, aber ich werfe sie auch nicht fort. Sie wird noch lange da stehen, denn sie bedeutet mir etwas.
06. Sep 23
Als ich in den Hof vor dem Kanzlei-Club trete, sind sie alle da. Jedenfalls viele von ihnen. Meine ehemaligen Mitstreiter aus der «Bewegung». 1980 stand Zürich ein Jahr lang in unserem Bann.
03. Sep 23
Nach meiner Hymne auf Joni Mitchell und ihr Leben jenseits der Konvention holte mich der Tages-Anzeiger unsanft zurück in die brave Schweiz zurück mit einem Thema, das mich zunächst nicht begeisterte: Ob ich nicht ein Porträt des Pestalozzi-Kalenders verfassen könne?